Kein Bock auf Stigma.

We fight

Written by Felicia Mutterer

22. Juli 2016

Lesbische Frauen am Arbeitsplatz.

Wir schreiben das Jahr 2015. Alles scheint möglich. „Anything goes“ – das Motto unserer Zeit. Der US-Ökonom Richard Florida meint sogar: Je offener und toleranter eine Gesellschaft, desto besser geht es der Wirtschaft. Eine schöne Vorstellung.

Realitätscheck: Wir schalten den Fernseher ein und sehen Anne Will beim Bändigen ihrer Talkrunde. Sie liebt offiziell Frauen, das weiß inzwischen jeder (und Will wird bei jeder Gelegenheit auch damit in Zusammenhang gebracht). Genau wie Ellen Page. Die Schauspielerin outete sich 2014 auf einer Konferenz der Human Rights Campaign in Las Vegas. „Homo-Sein“, das scheint in der Lebensrealität angekommen. Fast.

Fakt ist: Homosexualität ist in Deutschland akzeptierter als vor zehn Jahren, aber längst nicht selbstverständlich. Die einen verbergen sie vor der Großmutter, andere am Arbeitsplatz. Denn die Wirtschaft, die angeblich von Toleranz profitiert, ist selbst teilweise ziemlich intolerant.

52 Prozent gehen mit ihrer Orientierung

im Berufsleben “eher verschlossen” um.

 

In deutschen Büros behalten deshalb viele ihre sexuelle Orientierung lieber für sich. Die Gründe dafür? Unterschiedlich. Das belegt auch die aktuellste Studie zum Umgang mit sexueller Identität am Arbeitsplatz aus dem Jahr 2007. Damals gaben 52 Prozent der Befragten an, mit ihrer Orientierung im Berufsleben „eher verschlossen“ umzugehen.

So wie Caroline Neuer. Sie arbeitet in leitender Position bei einer großen deutschen Behörde. Ihre sexuelle Orientierung blendet Neuer dort aus. „Was bringt mir ein Outing?“, fragt sie. Neuer hat geschuftet, um beruflich akzeptiert zu sein. Warum etwas auf’s Spiel setzen? Die Behörde, in der sie arbeitet, beschreibt sie als „sehr homophob“. Deshalb sieht sie für sich keinen Nutzen darin, mit wehender Fahne voran zu gehen und zu sagen: Ich bin lesbisch! „Ich möchte meine Kollegen fachlich gerne mitnehmen, ich bin Führungskraft mit Verantwortung für Mitarbeiter. Da muss ich auch überlegen, wie die mit so etwas umgehen“, sagt die 53-Jährige.  

Caroline Neuer heißt im wahren Leben anders. Die gebürtige Dresdnerin will ihren richtigen Namen nicht in der Öffentlichkeit preisgeben. Auch nicht den Namen ihres Arbeitsplatzes. Deshalb bleiben wir bei „Behörde“. Die Angst vor Stigmatisierung und Diskriminierung ist zu groß.

Einer Studie des Kölner Psychologen Dominic Frohn zufolge haben drei Viertel der Homosexuellen am Arbeitsplatz schon Erfahrung mit Diskriminierung gemacht. In unterschiedlicher Form: von Ungleichbehandlungen über Beleidigungen und Bedrohungen bis hin zu Kündigungen. Gerade Lesben sind deshalb vorsichtig. Schließlich ist Diskriminierung für sie ohnehin ein Thema – allein weil sie Frauen sind, sagt auch Caroline Neuer.

„Ich habe im Berufsleben schon Situationen erlebt, in denen ich mich fachlich für Dinge rechtfertigen musste und ein männlicher Kollege nicht.  Das ist sehr anstrengend. Wenn jetzt noch der private Bereich dazu käme und vielleicht homophobe Äußerungen zwischen den Zeilen. Dann müsste ich mich da auch noch verteidigen und bräuchte noch mehr Energie.“

Solche Probleme von lesbischen Frauen am Arbeitsplatz kennt Karin Windt gut. Die Selbständige IT-Beraterin gehört zum bundesweit organisierten Verein „Wirtschaftsweiber“, einem Netzwerk von und für lesbische Führungskräfte.

Lesbische Frauen fürchten etwa übersehen zu werden oder weniger wertgeschätzt als andere, berichtet Windt. Manche denken auch, dass Kolleginnen sie als komisch wahrnehmen und Männer sie in eine asexuelle Ecke verfrachten könnten. Wegen solcher Gedanken verheimlichen viele Frauen ihre Orientierung. Die meisten Mitglieder der “Wirtschaftsweiber” leben aber offen lesbisch – wie Karin Windt auch.

 

“Sofort wird die Sexschiene aktiviert”

 

„Ich könnte es nicht anders“, sagt sie. „Für mich wäre nie in Frage gekommen im „Schrank“ zu bleiben. Grundsätzlich wird bei Homosexuellen aber immer sofort die Sexschiene thematisiert. Das nervt. Denn das Leben von Homos ist doch auch oft total banal und unsexy. Die Wirtschaftsweiber sind auch Anlaufstation für die, die lieber „im Schrank” bleiben. Sie beraten und ermuntern. „Ich denke, dass Frauen ermutigt werden können, wenn sie sehen: Die Reaktionen auf ein Outing können gut sein. So kann man die paar negativen Kommentare und blöden Reaktionen vielleicht auch wegstecken“, sagt Windt.

Etwa 90 Prozent der Homosexuellen, die sich am Arbeitsplatz geöffnet haben, berichten, dass ihre Kollegen und Chefs überwiegend positiv reagieren. Zudem habe der befreite Umgang mit sich selbst sie zufriedener und leistungsfähiger am Arbeitsplatz gemacht. Das kann auch Barbara Narzinski, Transformation Managerin bei der Deutschen Telekom, bestätigen. In 26 Jahren Berufsleben hat die Kölnerin wegen ihres Lesbischseins keine Diskriminierung erlebt. „Meine schlechteste Erfahrung war, dass eine Kollegin sagte: Da sprechen wir aber besser nicht drüber. Sie fand es gut, dass ich es ihr erzählt habe, aber sie hatte den Eindruck, dass ich es nicht weiter sagen sollte. Das hat mich damals in meiner Euphorie etwas gebremst, als ich mit 19 Jahren entdeckt hatte, dass es doch eher die Frauen sind.“

Das war 1986. Barbara Narzinski hielt sich nur kurz an den fürsorglichen Rat, löste binnen weniger Wochen die Bremse und teilt seitdem ohne Einschränkung mit ihren Arbeitskollegen Privates. „Ich möchte mal denjenigen sehen, der nichts von seinem Privatleben erzählt – und wenn es nur ist, dass der Kuchen von seiner Freundin gebacken ist. Da sind nur Kleinigkeiten. Man bezieht aber klar Stellung zu seinem Privatleben. Das passiert jeden Tag. Warum sollte ich das als Lesbe nicht tun?“

 

Vielfalt gehört in vielen Firmen zum guten Ton.

 

Narzinski hat eine klare Haltung. Sie ist lesbisch und basta. Bei ihr sei das auch eine Mentalitätsfrage – gehadert habe sie niemals mit ihrer Orientierung. Beruflich hat es ihr weder Vor- noch Nachteile gebracht. „Eine Zeit lang galten Lesben als die, die wenigstens keine Kinder kriegen und sich anders engagieren“, sagt Narzinski. Sie selbst hat sich manchmal aber gefragt, ob ihr Auftreten sie womöglich von unterschiedlichen Dingen etwas länger abgehalten hat. „Ich habe mich schwer getan, mich als weiblich-schick zu definieren und Anzüge zu tragen. Vielleicht bin ich Vorgesetzten deshalb nicht immer als erstes eingefallen, wenn es darum ging, eine Führungsposition zu besetzen. Aber ich habe nie eine klare Diskriminierung wegen meines Lesbischseins erlebt. Im Gegenteil: Ich bin eher nach vorne geschubst worden, weil mir was zugetraut wurde.”  

Diskriminierung am Arbeitsplatz wegen der sexuellen Orientierung ist verboten durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. In internationalen Konzernen wie SAP oder Commerzbank gehört es ohnehin zum guten Ton, die Vielfalt unter den Mitarbeitern zu pflegen – meist in sogenannten Diversity Abteilungen. Vorbildlich agiert in diesem Punkt auch der Arbeitgeber von Barbara Narzinski, die Deutsche Telekom. Homosexuelle Mitarbeiter fühlen sich bei dem Telekommunikationsanbieter gut aufgehoben – der hat dafür sogar schon einschlägige Preise bekommen. Diesen „Wohlfühlfaktor“ findet auch Barbara Narzinski wichtig. Sie glaubt unter ihren Kollegen sei Homosexualität kein Thema, weil sie schlicht selbstverständlich sei.

Welche Firmen noch aufgeschlossen sind, können lesbische Frauen und schwule Männer zum Beispiel auf der Karrieremesse „Sticks & Stones“ in Berlin erfahren. Von adidas bis Coca-Cola präsentieren sich dort jedes Jahr Unternehmen, die besonders offen für homosexuelle Mitarbeiter sind. Karin Windt von den Wirtschaftsweibern lobt solche Events. „Wir alle wissen, dass offene, glückliche, zufriedene Menschen produktiver sind – also als Mitarbeiter bessere Arbeit leisten und ein Team stärken können. Wer dagegen nicht offen ist und sich versteckt, muss sich womöglich Homowitze oder abschätzige Bemerkungen zu Lesben anhören und wird gar zum Mitlachen gezwungen – darunter leidet natürlich die Arbeit.“

 

Kreativität: Der wichtigste Faktor für Wirtschafswachstum

 

Das bestätigt indirekt auch die Wissenschaft. Der US-Ökonom Richard Florida hat die Wirtschaftstheorie der Kreativen Klasse (Creative class) entwickelt. Der wichtigste Faktor für Wirtschaftswachstum ist demnach Kreativität. Damit diese zur Geltung kommt, muss das Umfeld stimmen. Also: Je toleranter die Gesellschaft, desto stärker die Wirtschaft. Denn wer sich wohlfühlt, sich nicht verstecken muss ist motivierter, auch im Unternehmen.

Vor allem globale Firmen sehen die Vielfalt von Menschen deshalb als Gewinn. Der freie Diversity-Forscher Jens Schadendorf hat diese Unternehmen in seinem Buch „Der Regenbogenfaktor“ aufgelistet. Schadendorf zeigt, wie sie mit Homosexualität umgehen und greift auch persönliche Geschichten aus großen Konzernen auf – wie Allianz, IBM, Commerzbank, Deutsche Post oder McKinsey. „Manche Firmen schaffen sogar einen Rahmen, der es Mitarbeitern erlaubt, sich zuerst im Beruf zu ihrer Homosexualität zu bekennen – um danach die Kraft zu finden, das auch privat zu tun“, berichtet Schadendorf.

So ein Beispiel ist Christian D. Weis.  Als Teenager bekam er seine Lehrstelle bei der Commerzbank  – und outete sich zuerst bei seinem Chef ehe er es Zuhause tat. Schadendorf findet das besonders positiv. Ein ähnliches Beispiel von einer Frau fällt dem Buchautor nicht ein. Caroline Neuer, die ihre Homosexualität am Arbeitsplatz verheimlicht, fühlt sich deshalb nicht unmotivierter. „Ich denke mir einfach: Wenn Du wüsstest. Dadurch fühle ich mich stark.“ Schwäche zeigen käme für Caroline Neuer auch nicht in Frage. Sie hat über die Jahre gelernt sich zusammen zu reißen. Zwanzig Jahre lang war sie mit einem Mann verheiratet, hat mit ihm einen erwachsenen Sohn.  „Mein Mann lebt jetzt mit seinem Lebenspartner zusammen. Wir haben also früher als schöne Ehepaar-WG gelebt. Als unser Sohn groß war, sind wir eigene Wege gegangen. Die Ehe war damals ein Schutzraum für uns. Wir waren Familie, trotzdem hatten wir beide unsere Freiheiten. Der große Vorteil: Wir mussten uns offiziell nicht outen.“

 

Verbergen schadet der Psyche

 

Die Homosexualität zu verbergen hat in Caroline Neuers Leben eine lange Geschichte. Ausblenden ist ihre Art des Umgangs damit. So hat sie eine Art „Abwehrbollwerk“ geschaffen vor möglicher Verachtung und Verurteilung. Auch an ihrer Behörde soll bloß kein Kollege aus der Führungsriege wissen, dass sie eine Frau liebt. Ob sie darunter leidet? Wirklich klar wird das nicht. Doch Fakt ist: Lügen- und etwas Verbergen müssen tut wohl keinem gut. Menschen leiden häufiger an psychosomatischen Beschwerden, wenn sie weniger offen mit ihrer sexuellen Identität umgehen. Caroline Neuer weiß das. Zumindest als Chefin will sie ihrem Team Offenheit vermitteln.  

„Ich habe neulich eine Mitarbeiterin auf der Straße getroffen, wohl mit ihrer Freundin. Ich spürte sofort: Sie ist unsicher. Das gibt mir schon zu Denken und ich habe mir gesagt, da muss sich etwas ändern.“ Wie, weiß Caroline Neuer allerdings noch nicht. Sich selbst zu öffnen ist für sie keine Option.

„Anything goes“ – das Motto unserer Zeit. Objektiv gesehen mag es deshalb für homosexuelle Frauen kaum triftige Gründe mehr für Heimlichtuerei am Arbeitsplatz geben. Offenheit mit der eigenen sexuellen Identität schafft mehr freie Ressourcen, höhere Arbeitszufriedenheit und führt zu mehr Verbundenheit im Unternehmen. Subjektiv aber schon. Ein Outing ist fraglos immer eine individuelle Abwägung und Entscheidung. Hinzu kommen Überlegungen, wie andere Menschen damit umgehen. Auch manche Religionen sehen Homosexualität kritisch – und der Staat macht Unterschiede zwischen den Partnerschaften. Der Vatikan hat durch Kardinal-Staatssekretär Pietro Parolin das irische Ja zur Ehe für homosexuelle Paare als “Niederlage der Menschheit” bezeichnet. Bis die Frage „wer liebt wen“ kein Thema mehr ist, kann es also noch dauern. Aber: Alles ist möglich.

 

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