Kein Bock auf Etikette – Ein Interview mit Kerstin Polte

Kultur

Written by Straight Redaktion

4. April 2018

Wer hat die Liebe erfunden? Eine Schweizerin! Eine Halbe zumindest.  Kerstin Polte, halb Deutsche und eben halb Schweizerin, ist Regisseurin und sie hat natürlich nicht die Liebe, sondern einen gleichnamigen Film „erfunden“. Das Werk kommt Anfang Mai 2018 in die Kinos und es geht grob – um die Liebe. Unser STRAIGHT Autor Johannes Jungehülsing* traf Kerstin Polte bereits für unsere erste Printausgabe 2015 in einem netten kleinen Café in Neukölln und hat mit ihr über ihre Kunst, ihre Wünsche und ihre Weltanschauungen gesprochen.


Hallo Kerstin, gleich mal eine besonders originelle Frage zum Anfang: Was ist dein Lieblingsfilm?

Lieblingsfilm in der Filmgeschichte, alter Falter, muss ich mich wirklich auf einen festlegen?

Top 3 geht auch…

Okay, ich bin sehr Susanne Bier affin muss ich gestehen, also „Brüder“ ist ziemlich weit vorne, und „Open Hearts“ ist auch ziemlich weit vorne auf der Liste. Dann, totales Kontrastprogramm eigentlich, in Richtung verspieltes, eher französisches oder frankokanadisches Kino, Robert Lepage und Jeunet natürlich, auch die frühen Filme: „Delikatessen“, „Stadt der verlorenen Kinder“. Dann von Lepage natürlich „Le Confessionnal“. Und der Dritte, den ich sehr mag, ist Andreas Dresen.

Findet man die Stile der Regisseure in deinen Filmen wieder?

Ja, also es geht immer mehr von dem sehr Verspielten weg. Aber vor allem das Element der Begegnung, also der nicht geplanten Begegnung, das ist so ein Moment, der sich recht kongruent durch alles durchzieht. Ich liebe dieses Träumerische, wobei die Figuren an sich immer aus einem ganz alltäglichen Bedürfnis in die Begegnung stolpern, also an der Garderobe („Ein Hut, ein Stock, zwei Regen- schirme“) oder in einem Hotel („Der Hahn ist tot“) oder Flughafen („510 Meter über dem Meer“) in der Schweiz. Oder eben im Orchester, wie bei „Kein Zickenfox“.

Du sprichst deinen ersten abendfüllenden Dokumentarfilm an, was ist das Besondere an diesem Werk?

Das sehr Schöne an diesem Orchesterfilm ist, dass ich beim Dreh ja meine Frau gefunden habe, die ich jetzt geheiratet habe.

Ach wie schön! Dann würde ich deine Beziehung direkt als Anstoß für die Frage nach einem Topos deiner Filme nehmen, nämlich der Darstellung von Beziehungen. Doch ich meine gesehen zu haben, dass du das Thema losgelöst von Einteilungen wie „Frau – Mann“ oder „Frau – Frau“ betrachtest.

Ja, total. Also eine meiner Log Lines (extrem kurze Inhalts- oder Themen- beschreibung eines Films – Anm. d. Autors) für den Orchesterfilm, für die ich drei Jahre gebraucht habe, um sie zu finden, war: „Ein Film darüber, wie schön es ist, unterschiedlich zu sein“. Und ich glaube, das ist eher der Punkt als „Frau – Frau“ oder „Frau – Mann“. Es geht um die Bereicherung der Unterschiedlichkeit.

Wenn du ohne Budget-Sorgen einen Hollywoodfilm machen könntest, was wäre das für ein Film?

Ha, den nächsten James Bond. Definitiv. Wenn, dann richtig. Beziehungsweise, daran arbeite ich auch gerade als Serienstoff, mal so einen richtig coolen weiblichen James Bond. Ne wirklich coole, coole Sau.

Würdest du das dann als ein feministisches Projekt bezeichnen?

Nein, auf keinen Fall. Ich glaube, Etiketten sind sowieso das Doofste, was man machen kann, weil das immer mit Abgrenzung zu tun hat. So auch bei dem Frauenorchester, da könnte man ja auch denken, da sind jetzt nur die Feministinnen unterwegs. Dabei geht es um unterschiedliche weibliche Lebens- und Liebesentwürfe.

Ist deine eigene Sexualität auch Inspiration für deine Filme?

Na klar. Aber eher so nebenbei. Auch jetzt beim aktuellen Projekt gibt es einen Strang, wo sich eine Frau in eine Frau verliebt. Aber es geht nicht darum, dass sie sich in eine Frau ver- liebt, sondern dass sie sich überhaupt verliebt. Man muss keinen Behindertenfilm machen, wenn ein Behinderter mitspielt. Oder man muss keinen Schwulenfilm machen, wenn ein Schwuler mitspielt.

Waren  Coming-Out-Filme denn wichtig?

Ja. In dem Zeitalter, wo ich angefan- gen habe zu wissen, dass ich lesbisch bin, gab es so zwei Filme darüber. Die waren total wichtig, um ein Abbild zu haben. Also zum Beispiel „When Night is Falling“ oder „Desert He- arts“ waren enorm wichtig, um über- haupt mal zu sehen: Ach, das ist okay, da gibt’s sogar Filme drüber. Aber da- rüber sind wir heute glaube ich hin- aus.

Interessieren dich weibliche Lebensentwürfe eher als männliche?

Naja, sagen wir’s mal andersrum. Also generell würde ich das überhaupt nicht sagen. Aber ich würde mir wünschen, dass es in der filmischen Abbildung mehr unterschiedliche Frauen gibt. Frauen waren eigentlich immer das Sexsymbol, die Mutter oder die Belohnung, die der Held am Ende des Films bekommt. Das spricht natürlich nicht für eine Vielfalt. Da gibt es schon noch Nachholbedarf. Es gibt eben nicht nur Frau Typ A und Frau Typ B. Zum Glück kann man fest- stellen, dass es zum Beispiel im skandinavischen Kino und auch in vielen Serien von dort schon anders ist.

Da sprichst du was an. Es gibt ja im Moment so eine Serienrenaissance, die soweit geht, zu sagen, die Serie ist der neue Spielfilm. Siehst du das auch so?

Ja, das glaub ich auch.

Kerstin Polte ist Regisseurin, Drehbuchautorin und kreativer Kopf des Serienwerkes. 2016 wurde ihre Firma von der Bundesregierung als Kultur- und Kreativpilot Deutschlands asugezeichnet. Sie studierte in Québec, Karlsruhe und Zürich Filmregie, Drehbuch, Theater, Literatur & Philosophie. Ihr Abschlussfilm „510 Meter über dem Meer“ lief auf über 150 internationalen Filmfestivals. 2016 kam ihr preisgekrönter Dokumentarfilm „Kein Zickenfox – ein Film über das größte Frauenblasorchester der Welt“ in deutschsprachige Kinos. Aktueller Streifen: Wer hat eigentlich die Liebe erfunden? Der Film startet Anfang Mai 2018 in den Kinos. 

 

 

 Mehr zum Thema Filme gibt es bei uns unter anderem hier. Und Anfang Mai gibt es ein frisches Interview mit Kerstin. 

*Johannes und Kerstin haben sich so gut verstanden, dass die beiden miteinander arbeiten.

Fotos: Andreas Tobias

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