Am Veilchendienstag hieß es für mich nicht Kölle Alaaf, sondern Alaaf Florence. Denn ich machte mich auf zur Lanxess Arena, zum langersehnten Konzert der britischen Band Florence and the Machine. Dabei lieferte der Abend kontrastreiche Erfahrungen, die Grenzen überschritten.
Als in Sülz gerade der Karnevalsumzug ankam, stiegen meine Freunden und ich in die Bahn. Wir waren bereit, die einzigartig weiche und ausdrucksstarke Stimme von Florence Welch zum ersten Mal live zu erleben.
Unterschiedliche Erwartungen und Hoffnungen an das Konzert
Alle waren auf emotionale Berührungen, Überraschungseffekte und eine Livestimme, die wie die Studioversion klingt, gespannt. Doch eine unter uns rechnete fest mit einer dramatischen und eher düsteren Atmosphäre statt einer Florence in Farbe und blumigen Mustern. Am Ende war für alle was dabei. Soviel vorab.
Ja, wir hatten Sitzplätze!
Eröffnet wurde die Show von den Schotten Young Fathers. Sie haben mit ihrem atonalen, drumlastigen Sound – in dem die Vocals etwas untergingen – eingeheizt und uns gleichzeitig verwirrt. Denn mit ihrem Hit Shame forderten sie uns auf zu tanzen. Das war als Aufwärmprogramm für den weiteren Konzertverlauf tatsächlich eine ganz gute Idee. Denn als Florence Welch und ihre Band auf die Bühne kamen riss es uns schon beim zweiten Song, bei ‚Hunger‘, von unseren Sitzplätzen.
„Köln, willst du tanzen?“
Als Florence dann in einem womöglich noch nie so höflich und sanft klingenden Deutsch die Frage stellt: „Köln, willst du mit mir tanzen?“, erhoben sich auch die letzten Sitzmuffel. Und so tanzte die ganze Arena gleich zu Beginn in Nostalgie, als ‚Between Two Lungs‘ ertönte. In ihrem weißen, knöchellangen Kleid hüpfte Florence barfuß über die wellenartig und organisch wirkenden Stufen der Holzbühne.
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Tribute an South London und Patti Smith
Doch die Bitte um einen Tanz sollte noch lange nicht die letzte Aufforderung des Abends gewesen sein. Bevor sie den Tributsong an ihre Heimat ‚South London Forever‘ performte, wo das aktuelle Album entstand, erinnerte sie uns alle an ein Europa und unsere Verbindung „beyond borders“, wobei sie das Publikum aufforderte sich an den Händen zu fassen. Währenddessen wurde das minimalistische Bühnenbild durch 12 von der Decke hängende, weiße Leinentücher, die an Schiffsegel erinnerten, ergänzt.
Gleich darauf folgte mit ‚Patricia‘ ein weiteres Tribute, diesmal an die Godmother of Punk, Patti Smith. In den einleitenden Worten stellte Florence klar, dass auf Florence and the Machine-Konzerten keine „toxic masculinity“ herrsche, was ich bestätigen kann.
Dann ging sie einen Schritt weiter. Sie forderte uns auf über unsere eigenen Grenzen hinauszugehen. Wir sollten unsere Handys einstecken und die Menschen neben uns umarmen. Der folgende Moment, in dem die Töne des Hits ‚Dog Days Are Over‘ erklangen, fühlte sich definitiv magisch an, da er so flüchtig erschien und ihn hoffentlich niemand für die Nachwelt oder Instagram festhielt.
Bei ‚Cosmic Love‘ dagegen, sollten wir durch unser Handylicht einen Sternenhimmel imitieren. Das tat dem emotionalen Erlebnis, diesen, vom einzigartigen Harfensound getragenen Song, endlich live zu erfahren, jedoch nichts ab.
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Florence selbst sprengte Grenzen und schuf Kontraste
Während des vorletzten Songs, ‚Delilah‘, rannte Florence von der Bühne hinab, in den hinteren Abschnitt des Konzertsaals und hüpfte tanzend über die Absperrung in die Menge.
Die ebnete ihr so bedacht und rücksichtsvoll einen kleinen Weg, wie dies wohl nur Florence Welch durch ihre gleichzeitig verletzlich und mutig wirkende Aura schafft. Dann lief sie energetisch und leichtfüßig wieder hinaus und kletterte vorne angekommen während ‚What Kind of Man‘ barfuß auf die Absperrung. Dort schien es, als versuche sie sich durch Berührungen mit so vielen Menschen wie möglich zu verbinden.
Als Zugabe spielte sie noch ihren erst kürzlich veröffentlichten Song ‚Moderation‘, um danach vom Ausdruckstanz während ‚Big God‘, in den Abschlusssong ‚Shake It Out‘ überzugehen, durch den wir alle erlebten Gefühle und Stimmungen abschütteln konnten, als wäre das alles niemals passiert.
Doch nicht alles ließ sich abschütteln – zum Glück. Denn das traumartige Gefühl wohlig umhüllt und verbunden zu sein, hält auch noch während der Fahrt nach Hause an. Unsere Erwartungen waren nicht nur erfüllt worden. Sie wurden sogar übertroffen.