CSD-Hopping, Internet oder großstädtische Mundpropaganda – die frauenliebende Szene kennt sich. Verstrickungen sind vorprogrammiert, ebenso viel zu viel Vorwissen. Auch STRAIGHT-Kolumnistin Tessa Weiß kann davon berichten.
Ich treffe meine Freundin Katha nach einem Date und erzähle davon. Caro scheint die Frau offensichtlich zu kennen, ungefragt betet sie mir alle Ex-Freundinnen dieser samt deren berufliche Vita und Liebhaberinnenregister runter. Sie endet mit dem Satz: „Die ist übrigens schlecht im Bett.“ Wir reden hier von einer Großstadt in der ich lebe, Köln (Köln hat die Millionenmarke geknackt und darf sich offiziell Großstadt nennen). Sie gilt in homosexuellen Kreisen als Hochburg. Für mein Liebesleben bedeutet das, Willkommen in einer lebendigen Szene, die ich liebevoll Lesbenhausen nenne. Denn alles ähnelt hier einer kleinen, feinen (?) Dorfgemeinschaft. Hier kennt jede jede oder kennt jemanden, der die Frauen kennt, die ich nicht kenne. Aus Erfahrung weiß ich, dass sich dieses Phänomen unter homosexuellen Frauen nicht auf die Hochburg Köln beschränkt, sondern auch in Berlin, Hamburg, München, London, New York, Sydney und überall auf der Welt zu finden ist. Das hat Vor- und Nachteile, klar. Im Moment bin ich wohl in einen Nachteil verwickelt. Ich stelle mir die Frage, was ich mit den Informationen, die Caro mir über die nette Frau rüber geschoben hat, mache. Unbefangen kennenlernen ist nun schwierig. Denn obwohl ich mich zum Ignorieren der Infos mahne, kann ich sie doch nicht ganz aus meinem Gedächtnis verbannen. Die sind jetzt in meinem Kopf und kommen alldieweil ungefragt in mein Bewusstsein. Je länger ich drüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass ich noch nie eine Frau kennengelernt habe, bei der ich mit einem völligen Informationsloch in die ersten Treffen starten konnte. Im Umkehrschluss bedeutet das natürlich auch, dass alle anderen Frauen der kleinen, feinen Dorfgemeinschaft theoretisch ähnlich viele und intime („Die ist schlecht im Bett!!“) Informationen über mich besitzen. Oh ha!
„Ich habe schon Pferde vor der Apotheke kotzen sehen“
Zu erklären ist das natürlich mit dem Randgruppending. Die Anzahl von frauenliebenden Frauen an sich ist schon übersichtlich. Die Frauen, die das Interesse bei mir wecken – ich mag lange Haare -, reduziert sich noch einmal um 80 bis 90 Prozent. Es bleiben nur wenige. Und so ist auch schon mal vorgekommen, dass ich bei der Ex- Freundin meiner Ex-Freundin gelandet bin. Jetzt gerne Kopfschütteln, Kennerinnen wissen es eh, diese Handhabe ist überhaupt nicht unüblich in Lesbenhausen, wodurch es aber auch natürlich nicht besser wird. Denn das führt unwiederbringlich zu Verstimmungen bis hin zu Verletzungen. Dramen sind vorprogrammiert. Wie groß das ist, ist abhängig vom zeitlichen Abstand und der Art des Endes der Beziehung. Besonders brutal wird es meist, wenn der Grund für das Ende der Beziehung zur gemeinsamen Ex-Freundin das Verlieben in deren Ex-Freundin ist. Aber da ich in der Lesbenszene schon Pferde vor der Apotheke habe kotzen sehen, ist auch dies kein perverser Gedanke in meinem Kopf, sondern tatsächlich brutale Realität im Lesbenliebesbiz. Zurück zum Ausgangspunkt. Was ist also die Lösung, um mich diesem ungefragten Informationsfluss und den möglicherweise daraus resultierenden Brutalitäten zu entziehen? Sich aus dem ortsansässigen, öffentlichen Gemeinschaft zurückziehen und abseits davon auf das Kennenlernen von Frauen, die mein Interesse an Frauen teilen, hoffen? Da ich Frauen im echten Leben und nicht übers Internet kennen lernen möchte sowie eine Vielzahl meiner engen Freundinnen ebenfalls aktiv in der Dorfgemeinschaft verkehren, muss ich diese Möglichkeit für mich in die Akte „Nicht umsetzbar“ ablegen. Also heißt es Augen zu und durch.
Predigerin in Lesbenhausen?
Ich frage mich aber, ob ich nicht Predigerin in Lesbenhausen werden sollte. Was ich zu sagen habe: Mädels gebt Acht! Es sollte nicht zum Sport Vereinzelter werden, gerade die Ex-Freundin der Ex-Freundin zu umgarnen. Holt Euch den Kick nicht dadurch, dass ihr Euch vorgaukelt, unsterblich in die beste Freundin der aktuellen Affäre verliebt zu sein! Entwickelt Wertschätzung und Demut für bestehende Beziehungen und Freundschaften. Und vielleicht plaudert ihr nicht ständig alles aus. Diskretion! Damit wäre in diesem Mikrokosmos ein zumindest halbwegs unbefangenes Kennenlernen möglich. Kurz um: Holt doch nicht immer die soziale Machete raus, ihr sensiblen Geschöpfe! Mir ist bewusst, dass ich hier ganz schön den moralischen Zeigefinger schwinge, aber mir stinkt es.
Epilog: Ich wollte diese Frau kennen lernen, schaltete alles im Kopf aus. Wir trafen uns. Mehr lief nicht. Ich konnte nicht herausfinden, ob sie tatsächlich schlecht im Bett ist oder doch eine begnadete Liebhaberin. Warum? Sie zog mit der Zeit den engeren Kontakt zu meiner Ex-Freundin vor. Nun ja, echtes Lesbenhausenerleben halt!