Ab dem 3. Mai läuft „Wer hat eigentlich die Liebe erfunden?“ in den Kinos. Es ist der erste Spielfilm von Kerstin Polte, die wir bereits für unsere erste Ausgabe von STRAIGHT 2015 zu ihrem Film „Kein Zickenfox“ sprachen. Während der Film über das Berliner Frauenblasorchester sehr erfolgreich war und damals noch von einer Crowdfunding-Kampagne finanziert wurde, ist Kerstin Polte nun mit „Wer hat eigentlich die Liebe erfunden“ mitten im Filmgeschäft angekommen. Wir haben sie an unseren Küchentisch eingeladen.
Wie kam es zu „Wer hat eigentlich die Liebe erfunden?“?
Während meines Regiestudiums in Zürich wurde bei meinem Vater eine schwere Krankheit – es handelte sich aber nicht um Alzheimer wie im Film – diagnostiziert, eine der Krankheiten, bei denen es nur noch schlimmer und nie mehr besser wird. Natürlich verschieben sich in einem solchen Moment die Fragen, die man dem Leben stellt. Sie werden existentieller; der Geschmack der Endlichkeit liegt plötzlich auf dem Alltag. Ich habe angefangen jeden Moment in seiner Einzigartigkeit intensiver wahrzunehmen und zu genießen. Als Familie sind wir näher zusammengerückt. Es kam mir sogar manchmal so vor, als würden wir uns nochmal ganz neu kennen und berühren lernen. Wir waren fast in einer Aufbruchsstimmung. Denn: Was können wir überhaupt unserer eigenen Endlichkeit – der Angst von einem Tag auf den anderen zu verschwinden – entgegensetzen? Ich glaube, dass viel Liebe, viel Mut und viel Humor ein guter Anfang sind. Und ein gutes Ende. Mir ist damals klar geworden, dass es nicht darum geht, die Angst vor dem Tod zu verlieren, sondern die Angst vor dem Leben…und genau über dieses Gefühl wollte ich meinen ersten Spielfilm machen.
Es heißt ja oft, der erste Film wäre fast zwangsläufig autobiografisch. War das bei hier auch so?
Ich glaube, dass man grundsätzlich von Situationen, Themen und Menschen erzählt, die einen berühren, die man in seinem Leben kurz oder lang kreuzt, die einen nicht mehr loslassen. Das müssen nicht unbedingt nur autobiografische Momente sein, dass kann auch – wie in meinem Fall – eine Perspektivverschiebung auf das Leben sein.
Ich glaube, wir sind alle ein bisschen wie Charlotte und Paul – ich genauso und meine Eltern waren es auf jeden Fall: Wir lieben Airbags, Antibiotika und Antivirenprogramme, weil wir durch sie die Illusion haben, dass uns gar nichts passieren kann. Wir vergessen, dass wir uns mit all den angelegten Sicherheitsgurten irgendwann gar nicht mehr wirklich bewegen können. Wir vergessen das Leben zu genießen, auch mal kreuz und quer zu leben, eine Haltestelle später auszusteigen, Ja anstelle von Nein zu sagen. Wir verschieben unsere Abenteuer und Sehnsüchte auf Morgen. Und wenn das Morgen endlich kommt – die Pensionierung, die Freiheit, das Geld, um drauf los zu leben – macht das Leben allzu häufig einen Strich durch die Rechnung. Wir haben nur dieses eine Leben – worauf warten wir?
Hat sich das Drehbuch von der ersten bis zur endgültigen Version sehr verändert?
Ich bin da durchaus durch ein paar Etappen gelaufen. Als mein Vater schließlich starb, konnte ich eine Zeit lang nicht weiterschreiben. Weil mir alles einfach viel zu nah war. Wir haben meinen Vater zuletzt sehr intensiv begleitet. Als ich weiter schrieb war mir klar, dass ich die Geschichte hoffnungsvoll erzählen muss – dass der Tod zwar Bestandteil des Ganzen wird, aber dennoch der Mut zum Leben, zur Liebe siegt. Ich wollte, dass meine ZuschauerInnen spüren, dass es sich immer lohnt mit seinem Schicksal um die Wette zu rennen – selbst wenn man letztendlich verliert. Im Grunde bin ich ganz froh, dass es so lange gedauert hat, das Drehbuch fertig zu schreiben. Denn die Art und Weise, wie ich die Geschichte erzähle, das Humorvolle und Poetische, liegt mir näher und entspricht viel mehr meinem Wesen als das Dramatische.
Die Geschichte fängt alltäglich an und wandelt sich ganz allmählich zu etwas, das man als magischen Realismus bezeichnen könnte, oder?
Exakt. Das war so auch schon im Drehbuch vorgesehen. Uns war natürlich klar, dass es sich dabei um einen Drahtseilakt handelt. Für die Figuren geht es darum, mutig zu sein und etwas Neues zu wagen, deshalb war es mir ein großes Anliegen, dass wir – die Macher – ebenso mutig sein mussten. In meiner Inszenierung wollte ich das realistische Zeit- und Raumgefühl immer mehr auflösen, zugunsten einer Erzählung, die sich mehr an Fragmenten, emotionalen Zuständen, den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Lebens orientiert. Fantastische und surreale Momente und Figuren werden in der Inszenierung also nicht unterschieden, sondern miteinander atmosphärisch verdichtet, denn: Solange ich berührt werde, ist es nicht wichtig, ob ich träume oder nicht.
Wann haben Sie erstmals an die Besetzung Ihrer Heldin Charlotte gedacht?
Ich habe das Drehbuch tatsächlich ein bisschen auf Corinna Harfouch hingeschrieben, obwohl ich sie persönlich noch gar nicht kannte. Auch wenn mein Vater die Geschichte inspiriert hat, war mir immer klar, dass meine Hauptfigur eine Frau sein würde. Wahrscheinlich weil ich mich besser in ihre Gefühlswelt hinein versetzen kann. Zudem wünsche ich mir mehr Frauenfiguren im Kino, die auch mal mutig, eckig, merkwürdig, sehnsüchtig und stur sind. Es war gut, dass meine Heldin so auch weiter weg war von dem Mensch, der den Anstoß zur Geschichte gegeben hatte. Das hat mir eine größere künstlerische Freiheit gegeben.
Können Sie etwas dazu sagen, wie die übrige Besetzung zustande kam?
Ich war gerade im Casting Prozess, als ich Meret in Vanessa Jopps Film Lügen und andere Wahrheiten sah. Ihr tolles komödiantisches Talent begeisterte mich und ich erkannte vieles von ihr in meiner Figur der Alex. Sie mochte das Buch und als ich sie fragte, welche Schauspielerin sie gern mal küssen würde – ich hoffte insgeheim, dass sie auch Sabine Timoteo nennt, da ich sie gerne als Truckerin Marion besetzen wollte – und so kam es auch prompt. Perfekt! Karl Kranzkowski sollte ursprünglich Gott spielen, aber er mochte die Rolle des Paul ebenfalls sehr gerne, was ich mir ebenfalls sehr gut vorstellen konnte. Corinna fand die Idee ebenfalls toll. Ich finde, er und Corinna sind ein absolut wunderbares, glaubwürdiges, richtig schönes Paar.
Durften Ihre Schauspieler improvisieren?
Sagen wir mal so: Ich habe ihnen einen Rahmen gesteckt, aber darin gab es eine große Freiheit. Bei der Schauspielführung konzentriere ich mich vor allem auf die Wahrhaftigkeit der Gefühle und die Lebendigkeit des Moments. Aber Schauspielerinnen und Schauspieler dieses Formats machen ohnehin keinen Take wie den nächsten und lassen sich auf ihre Spielpartner vollkommen ein. Man bleibt nie stehen, sondern probiert verschiedene Qualitäten und Tonalitäten der Szene aus, geht neue Wege und manchmal kommt man auch wieder an den Anfang zurück. Es war einfach großartig sich immer wieder aufs Neue überraschen und berühren zu lassen. Bei Corinna war es oft so, dass der erste Take auf sie ging – also sie mir ein Angebot gemacht hat – beim zweiten Take haben wir meine Vorstellung realisiert, und beim dritten ging die Arbeit dann richtig los.
Welche Phase bei der Entstehung eines Films mögen Sie am liebsten?
Es gibt Vor- und Nachteile bei allen Phasen. Beim Schreiben hat man all die Einschränkungen nicht, die es später beim Drehen gibt. Die meditative Zeit, die man mit seinen Figuren verbringen kann, ist schon toll. Was ich am Set geliebt habe und weshalb ich jeden Morgen mit Freude wieder aufgestanden bin, auch wenn ich nur drei Stunden geschlafen hatte, waren meine fantastischen Schauspieler, die mit unglaublich viel Herz und Leidenschaft bei jeder Szene dabei waren. Aber auch die anderen künstlerischen Departments haben unglaubliches geleistet – besonders möchte ich das großartige Art Department (Szenenbild, Kostüm & Maske) hervorheben. Meine Kamerafrau zB hat ebenfalls ihr Debüt gemacht, das war nicht immer einfach mit der knappen Zeit und dem Budget – aber wir haben alle gemeinsam für diesen Film gekämpft. Beim Schnitt, Musik und Sounddesign ist es dann wiederum ganz schön, dass man nach der Atemlosigkeit des Drehs die Möglichkeit hat, wieder ein bisschen zu verschnaufen und sich Zeit zu lassen.
Noch ein Wort zur Musik. Sie wurde live eingespielt, was bei Filmprojekten eher selten der Fall ist.
Das war eine sehr spannende Arbeit mit Hannes Gwisdek (& seiner tollen Filmband) und Meret Becker. Anhand des Buches gab es vor dem Dreh zwei, drei Jamsessions – dabei ist zum Beispiel der Titelsong „Monster“ entstanden. Diese Aufnahmen hatten wir mit am Set, auch um in die Stimmung reinzukommen, als Inspiration für uns alle. Die Musiker waren ebenfalls auf dem Set und haben dort live in zwei Szenen gespielt. Nach dem Dreh – bevor es erste Bilder des Films geschnitten gab – wurden die Eindrücke vom Set musikalisch verarbeitet, da hat Meret zum Beispiel auch ihr eigenes „Liebeslied“ geschrieben. Erst ganz am Ende gab es dann noch mal eine Session, bei der alles was noch fehlte – ebenfalls live – aufgenommen wurde; es sollte auch mal kratzen, sinnlich, organisch und nicht perfekt bearbeitet sein und klingen. Wir wollten keinen glatten, digitalen Sound. Insgesamt war es wirklich eine tolle und besondere Arbeit, die extrem gut zu der ganzen organischen Entstehung des Filmes passt.
Kerstin Polte und ihr erstes Spielfilm „Wer hat eigentlich die Liebe erfunden“ ab 3.5.2018 im Kino. Auf Arte ist jetzt schon eine Dokumention von und mir ihr über die Berliner Künstlerin Sookee zu sehen. https://www.arte.tv/de/videos/073049-016-A/square-fuer-kuenstler/