100 Jahre Frauengeschichte(n): Jane Addams

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Written by Straight Redaktion

7. März 2018

„Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine Frau“. Wenn ich diesen Spruch vergangener Tage lese, schweben sie mir vor, die Geschichten meiner Tante aus ihren Kindheitstagen. Als die Mutter dem Vater zu jeder Mittagspause einen Blechkuchen backte, weil er doch so ein Zuckermäulchen war. Sie, die Hausfrau hinter dem erfolgreichen Geschäftsmann. Eine klassische Familie der späten 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Wir wissen, dass es anders sein kann, und wir wollen von ihnen erzählen: den erfolgreichen Frauen – und ihren Frauen dahinter. Von ihren Ideen, ihren Errungenschaften und ihrer Liebe füreinander. Auf einer Zeitreise, weit zurück in die Vergangenheit bis hin in unser Heute, blicken wir in die Lebensläufe von Frauen, die uns beeindrucken wie Simone de Beauvoir, Dusty Springfield oder Virginia Woolf. Und wir beginnen mit der Geschichte einer starken Frau, die sich engagierte, und die bereits vor über 100 Jahren ihre ganz eigenen, emanzipierten Wege ging.

Sie riss den Herrenklub ein: Jane Addams. Philantrophin, Pazifistin und Feministin der ersten Stunde ist Symbolfigur weiblicher Emanzipation.  Als zweite Frau in der Geschichte erhielt sie 1931 den Friedensnobelpreis. Und auch wenn sie sich vielleicht nie selbst als solche bezeichnete: Sie war eine Lesbe.

Geboren 1860 als Tochter einer wohlhabenden Familie im US-Bundesstaat Illinois, erkannte Jane Addams früh, dass ihr das Leben mehr bieten sollte als Heirat und Ehe mit einem Mann. Sie fragte sich: Warum sollten nicht auch Frauen etwas bewegen können? So zog sie in die Welt hinaus, um ihre Berufung zu finden. Und sie sollte dabei nicht alleine reisen. Mit Ellen Starr fand Jane Addams am Rockford Frauenseminar gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Weggefährtin, mit der sie später auch ein Bett teilte.

Gemeinsam reisten sie nach Europa und ließen sich inspirieren von der ehrenamtlichen Arbeit der Londoner Toynbee Hall, einem Nachbarschafts- und Bildungszentrum im Eastend. Zurück in den USA in Chicago kauften sie eine verlassene Villa, renovierten sie liebevoll und eröffneten 1889 das „Hull House“. Es diente als Ort der Zuflucht für Bedürftige. Und es sollte Frauen die Chance bieten, sich von ihrem Elternhaus und den Zwängen der Gesellschaft entfesseln und sich engagieren zu können. So luden Jane Addams und Ellen Starr Mädchen ein, zwei Jahre ihrer Zeit vor der üblichen Hochzeit mit einem gestandenen Mann im Hull House zu verbringen und sich um Kinder, Arme und Kranke zu kümmern.

Das Leben in dem hübschen, viktorianischen Haus an einer Straßenecke der Chicagoer Großtsatdt blühte auf: Neben einer Kunstgalerie und einem Schwimmbad gab es eine Bibliothek, eine Musikschule, ein Cafe und sogar ein Vermittlungsbüro für Jobs. Was klein begann, sollte schon bald zum Vorbild für eine ganze Bewegung werden – und ein erster Schritt für Frauen in die öffentliche Arbeitswelt.

Doch Ellen Starr trieb es in die Ferne und ihre Beziehung zu Jane Addams verblasste, als Mary Rozet Smith in das Leben von Addams trat. Mary unterstützte das Haus finanziell. Es war ihre sanfte Art und ihre Unbeschwertheit, die Jane sofort faszinierte. Seitenweise schrieben sich Jane und Mary Briefe, die vor Lebensfreude sprühten, und die die beiden Frauen näher zusammenbrachten. So wurde Mary zur Frau hinter der erfolgreichen Frau.

Jane Addams und Mary Rozet Smith zogen zusammen, arbeiteten gemeinsam im Hull House, kauften ein Sommerhäuschen an der Küste. Mary verwaltete Reisepläne, schrieb Geburtstagskarten an die Familie und sorgte sich um Janes Gesundheit, während diese ihre politische Karriere ausbaute. Als Ehe ohne Trauschein bezeichnete Jane ihre Beziehung zu Mary, die eine tiefe Liebe für einander verband. Als lesbisches Paar hätten sie sich wohl niemals selbst bezeichnet.

Jane Addams & Mary Rozet Smith 1923

Die Liebe der beiden Frauen brauchte aber auch kein Label. Sie verband eine besondere, innige Leidenschaft. Generell hielt man sich zu dieser Zeit nicht an der Definition von Partnerschaft auf, ob nun homosexuell oder nicht. So war es üblich, dass Frauen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert enge Verbindungen zueinander eingingen und zusammen lebten. Als sexuell wurden ihre Beziehungen aber nicht betrachtet, so Gioia Dili-berto, Autorin aus Chicago (A Useful Woman: The Early Life of Jane Addams). „Romatische Freundschaft wurde als etwas sehr bewundernswertes und liebliches angesehen. Da bestand diese Idee, dass solange kein Mann involviert war, es nicht wirklich Sex war“. Ob es bei Jane Addams und Mary Rozet Smith trotzdem leidenschaftlich im Bett herging? Das bleibt ein Geheimnis. Louise W. Knight Evanston, ebenfalls amerikanische Autorin (Citizen: Jane Addams and the Struggle for Democracy), ergänzt dazu: „Viktorianer würden uns auslachen, weil wir so verklemmt sind, wenn es darum geht, ein Bett miteinander zu teilen“. Die Frage, was Addams und Smith im Bett angestellt haben, sei hier aber so oder so nicht die wichtigste Frage, so Lilian Faderman, US-Autorin zahlreicher Bücher zur lesbischen Geschichte: „Die beiden Frauen waren offensichtlich sehr verliebt ineinander und hatten eine tiefe, emotionale Verbindung. Das ist für mich eine ausreichende Definition von Lesbisch sein.“

40 Jahre lang lebten Jane Addams und Mary Rozet Smith zusammen, bis Jane Addams 1936 an Krebs verstarb. Bis zu ihrem Tod engagierte sie sich für den Frieden auf der Welt und kämpfte für die Rechte von Frauen – immer an der Seite ihrer Frau.

Text Irina Kruszinski

Fotos: Wikimedia Commons

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