In unserer Reihe „100 Jahre Frauengeschichte(n)“ erzählen wir von erfolgreichen Frauen – und ihren Frauen dahinter. Von ihren Ideen, ihren Errungenschaften und ihrer Liebe füreinander. Auf einer Zeitreise, weit zurück in die Vergangenheit bis hin in unser Heute, blicken wir in die Lebensläufe von Frauen, die uns beeindrucken. In unserer letzten Folge waren wir auf den Spuren von Virginia Woolf & Vita Sackville-West unterwegs. Diesmal wollen wir vorstellen: Simone de Beauvoir.
Über ihr Liebesleben ist nur wenig bekannt. Lediglich ihre Beziehung zum Philosophen Jean-Paul Sartre fand den Weg in die Öffentlichkeit. Aber auch hier hielt sich die zurückhaltende Frau stets mit Details bedeckt. Und auch wenn es keine wirklichen Belege dafür gibt, dass Simone de Beauvoir ihre offene Beziehung ebenfalls in der Liebe zu Frauen auslebte (lediglich vielleicht ein paar Stimmen, die nachhallen), wurde sie doch zu einer bedeutenden Figur der lesbisch-feministischen Bewegung. Mit ihrem Werk „Das andere Geschlecht“ (1949) beschrieb sie die lesbische Liebe als den emanzipatorischen Ausweg.
Geboren am 9. Januar 1908 in Paris, wuchs Simone de Beauvoir in einem wohlhabenden Elternhaus auf. Schon früh distanzierte sie sich von der streng religiösen Erziehung. Die Nonnenschule, an die sie mit fünf Jahren gekommen war, hatte sie wenig erfüllt. Stattdessen ließ sie sich in die Philosophie fallen: „An der Philosophie“, so schrieb sie später, „zog mich vor allem an, dass sie meiner Meinung nach unmittelbar auf das Wesentliche ging. Ich begriff lieber, als dass ich sah.“
Und so zog sie hinaus in die intellektuelle Welt, studierte an der Sorbonne, wandelte auf den Spuren der Philosophie und trat in den politischen Diskurs ein. Man sah sie in kleinen Buchhandlungen und Büchereien, wie sie im Stehen las und sich die Manteltaschen mit Leihbüchern vollstopfte. Sie las die Sommer durch und galt als schwierig. Im März 1928 bestand sie ihre Philosophie-Klausur über „Freiheit und Zufall“ mit Auszeichnung. Und sie bekam Zutritt zu einer kleinen Gruppe ausgewählter Studenten: Paul Nizan, René Maheu und dem äußerlich eher unscheinbaren Studenten Jean-Paul Sartre.
Der Mann ihres Lebens: Jean-Paul Sartre
Einen späteren Heiratsantrag Jean-Paul Sartres lehnte Simone de Beauvoir ab, aber sie führten ein gemeinsames Leben. Sie gingen auf Reisen, verbrachten viel Zeit im Kreise anderer Intellektueller und Künstler. Im Pariser Stadtteil Saint-Germain-des-Prés, im Café de Flore, traf sich Simone de Beauvoir mit ihren (meist bekannten) Freunden und arbeitete an ihren Thesen. 1949 dann, nach den ersten erfolgreichen Veröffentlichungen, kam ihr Werk „Das andere Geschlecht“ auf den Markt.
Mit ihrer Kritik am traditionellen Frauenbild veränderte Simone de Beauvoir das Denken und Leben zahlreicher Frauen. Sie kam zu dem Schluss, dass die engen Grenzen des „Typisch-Weiblichen“ von der Gesellschaft bestimmt sind, und fasste ihre Idee in der (damals sehr provokanten) These zusammen, dass man nicht zur Frau geboren, sondern zur Frau gemacht wird. Sie lehnte weder die Liebe noch die Familie ab. Was sie forderte, war: Die Menschen sollten nicht alleine aufgrund ihres Geschlechts in Zwangslagen geraten, aus denen sie sich nicht mehr befreien können.
„Wie kann ein Mensch sich im Frau-Sein verwirklichen?“, fragt Simone de Beauvoir und schreibt weiter, dass die heterosexuelle Liebe nicht zur Selbstverwirklichung taugt, da in ihr die Geschlechtergegensätze aufeinanderprallen. Doch in der lesbischen Liebe biete sich eine Perspektive: Will man sich auf die Natur beziehen, so Simone de Beauvoir, ist die homosexuelle Liebe eine natürliche. Denn letztlich widerstrebe jeder Frau die körperliche Hingabe zu einem (übermächtigen) Mann und sie entwickle einen Widerwillen gegen den männlichen Körper. Und sie schreibt: „Es gibt ein Einverständnis unter Frauen, die jede Scham entwaffnet. Die Erregung, die eine in der anderen weckt, ist gewöhnlich ohne Gewalt und die homosexuellen Liebkosungen schließen weder Defloration noch Penetration ein. […] Das junge Mädchen kann seine Berufung als passives Objekt realisieren, ohne sich zutiefst entfremdet zu fühlen.“ Verstehen wir sie nicht falsch: Simone de Beauvoir verabschiedete sich nicht von der heterosexuellen Liebe, aber sie hielt die Liebe unter Frauen für eine gleichwertige.
Simone de Beauvoir und die Frauen
Doch was steckte denn nun dahinter, dass Simone de Beauvoir so eine Verbindung zur Liebe unter Frauen hatte? Die uns allen bekannte Alice Schwarzer, Mutter der Zeitschrift Emma und Deutschlands umstrittenste Feministin der Gegenwart, beschrieb die Zeit ihrer Freundschaft mit Simone de Beauvoir einst in einem Artikel. So erzählte sie, wie sie sich nachmittags bei Simone de Beauvoir in der Rue Schoelcher in Paris zum obligatorischen Whiskey trafen oder abends am Montparnasse essen gingen. Dann sprachen sie meist über sich und die anderen, über Politik und Sexualität, ihr Lieblingsthema. Und Alice Schwarzer schrieb: „Etwa ein Jahr vor ihrem überraschenden Tod 1986 fragte ich Beauvoir, ob es etwas gäbe, was sie als Autorin heute anders machen würde. Beauvoir […] antwortete rasch: ‚Ja, ich wäre ehrlicher. Ich habe über Sexualität nicht alles gesagt.‘ Ohne eine weitere Frage abzuwarten, erzählte sie von der Heftigkeit ihres Begehrens: Wie sie schon als ganz kleines Mädchen onaniert, und dass sie ihre ersten sexuellen Kontakte mit ihrer Schwester Helene gehabt hatte. Dass auch ihre erste leidenschaftliche Jugendliebe eine Frau war, nämlich die beste Freundin Zaza, hat Beauvoir selbst in ihren Memoiren mitgeteilt. Doch – sie sagte auch in diesem und anderen Gesprächen mit mir immer doch nur die halbe Wahrheit. […] Simone de Beauvoir hat auch Frauen geliebt. Und manchmal hat sie sie auch verletzt.“
Text Irina Kruszinski
Headerfoto: File:Flickr – Government Press Office (GPO) – Jean Paul Sartre and Simone