Erfolgreiche Frauen – und ihre Frauen dahinter. Von ihren Ideen, ihren Errungenschaften und ihrer Liebe füreinander erzählen wir Euch in unserer Reihe „100 Jahre Frauengeschichte(n)“. Mit einer Zeitreise, von der fernen Vergangenheit bis in unser Heute, blicken wir auf die Lebensläufe von Frauen, die uns beeindrucken. Auf den Spuren der Philanthropin, Pazifistin und Feministin Jane Addams waren wir zum Beispiel auch schon unterwegs. Einige Jahrzehnte später – in den „Goldenen Zwanzigern“ – wurde eine andere zur tragenden Figur des Feminismus: Virginia Woolf. Von ihr wollen wir diesmal berichten.
Sie war die wohl beste Chronistin der in Verdruss versinkenden Gesellschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts und eine der faszinierendsten Figuren der europäischen Moderne: Virginia Woolf, geboren 1882 in London mit dem Namen Adeline Virginia Stephen. Als Tochter einer wohlhabenden Intellektuellen-Familie wuchs sie unter dem Einfluss der viktorianischen Beschränkungen von Mädchen und Frauen auf. Mit 20 Jahren heiratete sie Leonard Woolf, mit dem sie einige Jahre später gemeinsam einen Verlag gründete. The Hogarth Press sollte zum literarischen Sammelbecken für moderne Literatur aus Großbritannien, den USA und Russland werden. So wurde Virginia zum Spiegelbild der gebildeten, englischen Mittelschicht: Dienstboten, Rosengärten, Mitgliedschaften in exklusiven Clubs und Mittelmeerreisen – diese Dinge bestimmten ihr Leben.
Schon früh fing Virginia an als Essayistin auch eigene Werke zu veröffentlichen. Mit A Room of One’s Own (Ein Zimmer für sich allein), einem 1929 erschienenen Essay, schrieb sie einen Aufsatz, der heute zu den bekanntesten Texten der Frauenbewegung zählt und der zum Meilenstein der feministischen Literatur wurde. Er sollte die junge Generation der Frauen bewegen, ihr Bewusstsein für historische Veränderungen wecken und sie animieren, sich für ihre Emanzipation stark zu machen. Virginias Forderung: 500 Pfund und ein eigenes Zimmer für jede Frau; eine materielle Sicherheit, die die Frau vom Mann unabhängig machen sollte.
Heimliche Romanze mit Vita Sackville-West
Doch ihr Erfolg wurde von ihren immer wiederkehrenden Depressionen getrübt. Früh beging sie die ersten Selbstmordversuche. Während um sie herum das (scheinbar) blühende Leben zwischen künstlerischer Avantgarde und Massenkultur tobte (für die meisten war das Leben zwischen Revolution und Machtergreifung in Wahrheit nicht gerade golden), lebte sie scheu und verschlossen. Und dennoch fand sie die Liebe auf den ersten Blick, und sie fand sie außerhalb ihrer Ehe: Vita Sackville-West, englische Schriftstellerin und Gartengestalterin, die in der adligen Welt Großbritanniens groß wurde (In unserer ersten Ausgabe haben wir sie bereits kurz erwähnt und Euch Susanne Amrains Buch So geheim und vertraut – Virginia Woolf und Vita Sackville-West empfohlen). Für drei Jahre wurde Vita Virginias (nicht ganz) heimliche Romanze, eine Affäre, die sie ein Stück weit glücklich machte.
Dabei hätten Virginia und Vita unterschiedlicher nicht sein können: Die englische Schriftstellerin war inzwischen vierzig Jahre alt, ein literarisches Genie, geplagt von ihrem schweren Gemüt. Die englische Adlige Vita Sackville-West, zehn Jahre jünger und ausgesprochen lebensfroh, fühlte sich wohl inmitten der feinen Gesellschaft, die sie umgab. Die eine fühlte sich zu Frauen hingezogen, aber lebte ihre Liebe nur im mehr oder weniger Stillen aus. Die andere – ebenfalls verheiratet – machte keinen Hehl aus ihrer lesbischen Liebe. 1922 begegneten sich Virginia und Vita zum ersten Mal und verliebten sich sofort. „Ich liebe Virginia – wer täte das nicht? Aber die Liebe zu Virginia ist etwas ganz anderes: etwas Seelisches, etwas Geistiges, wenn man so will, eine Sache des Intellekts. Ich habe tödliche Angst, körperliche Gefühle in ihr hervorzurufen, wegen des Wahnsinns. Ich habe mit ihr geschlafen (zweimal), aber das ist alles.“ Doch nicht nur die Liebe verband sie: In Virginias Verlag The Hogarth Press verlegte sie Vitas Werke. Dabei schätzte Virginia Vitas Arbeit nicht einmal besonders und beschrieb sie lieblos als mit der „Blechfeder“ produziert. Was sie dahinschmelzen ließ war Vitas männliche Schönheit, ihre noblen Verbindungen und ihre Abenteuerliebe. In über 500 Briefen träumten sie von ihrer gemeinsamen Zeit, überschlugen sich mit ihren Gefühlen. Jede Zeile brachte sie ein Stück näher zusammen. Virginias Neffe und Biograph Quentin Bell beschrieb die Beziehung so: „Virginia empfand, wie eine Liebende empfindet: Sie war verzagt, wenn sie sich vernachlässigt fühlte, verzweifelt, wenn Vita nicht da war, wartete ungeduldig auf Briefe, brauchte Vitas Gesellschaft und lebte in der seltsamen Mischung von Hochstimmung und Verzweiflung, die für Liebende – und man sollte meinen, nur für Liebende – bezeichnend ist.“
Wahnsinn und Depression
Aber die Liebe zu Vita konnte Virginia nicht aus ihrem alltäglichen Wahnsinn, aus Depression, Angstzuständen und Essensverweigerung retten. Ihre Beziehung zerbrach. Orlando, Virginias Roman, der 1928 erschien, wurde zur abschließenden Liebeserklärung an Vita.
Viele Jahre später, am 28. März 1941, verlor Virginia den Kampf gegen ihre Krankheit. Sie legte einen Brief auf das Kaminsims, ging über die Wiesen hinter ihrem Haus zum Fluss, legte ihren Stock ans Ufer, stopfte einen schweren Stein in ihre Manteltasche und ertränkte sich in der Ouse.
Text Irina Kruszinski
Fotos: Wikimedia Commons