In unserer Reihe „100 Jahre Frauengeschichte(n)” blicken wir in die Lebensläufe von Frauen, die Frauen liebten: Von Jane Addams, Virginia Woolf bis hin zu Simone de Beauvoir. Sie alle füllen mit ihren Geschichten Bücher, sie alle faszinieren uns durch ihren revolutionären Geist, durch ihren Versuch, sich aufzulehnen. Ihre Liebe zu Frauen blieb zu ihren Lebzeiten meist im Verborgenen. Dann kamen die 1970er und begann die Zeit des postmodernen Sturm und Drangs, der sexuellen Unabhängigkeit, die wir heute gerne als Epoche der Befreiung reflektieren. Mittendrin: Dusty Springfield.
Die blonde, weiße Sängerin mit der schwarzen Soulstimme. Eine schillernde Figur im Scheinwerferlicht. Doch sie ist das Beispiel dafür, dass dieser Akt der Befreiung noch lange von einem normativen Verständnis von Liebe überschattet wurde.
„Ich weiß, dass es viele Leute gibt, die neugierig sind, ob ich lesbisch bin. Ich glaube, das geht nur die Menschen etwas an, mit denen ich schlafe.“ 1939 in Großbritannien als Mary Isobel Catherine Bernadette O’Brien geboren, sagte Dusty Springfield später einmal über sich selber: „Wenn ich in eine Kirche gehe, wird das Dach über meinem Kopf einstürzen. Ich werde tot sein, weil ich eine Sünderin bin“. Scheu und still, von Selbstekel erschüttert, war Dusty Springfield abseits vom Ruhm eine verunsicherte, schüchterne Frau, die einen inneren Kampf führte.
In der Schule bei den Nonnen
Aufgewachsen in einer Klosterschule, rebellierte Dusty früh gegen die strengen Erziehungsformen der Nonnengeführten Einrichtung. Sie färbte sich die Haare blond, versuchte sich in jemand anderen zu verwandeln. Sie wollte es schaffen, wollte etwas werden. Lange genug hatte sie dabei zugesehen, wie der Vater sich jeder Mühe um Erfolg und Anerkennung verweigerte. Ein frustrierter Steuerberater, der Tag ein Tag aus tatenlos seinem Traum nachhing, Konzertpianist zu werden, während die Mutter ihre Tage betrunken im örtlichen Kino verbrachte. Doch eines gab der Vater Dusty mit auf den Weg: die Liebe zur Musik. In den wenigen harmonischen Momenten des Familienlebens trommelte er auf ihren Handrücken Stücke und ließ sie die Titel erraten.
Nachdem sie die Schule beendet hatte, zog Dusty gemeinsam mit ihrem Bruder als musizierendes Duo durch lokale Folk Clubs, bevor sie Ende der 1960er Jahre ihre eigene Karriere startete. Schnell schaffte sie es mit ihrer Stimme an die Spitze der Charts. Doch schon Anfang der 1970er Jahre wurde Dusty die Aufmerksamkeit um ihre Person zu viel. Sie konnte dem Druck des Erfolges in der Öffentlichkeit nicht Stand halten. Immer wieder nahmen die Leute von einer Zusammenarbeit mit ihr Abstand, weil sie unzuverlässig wurde.
Über Jahre hatte sie sich versteckt, hatte ihre Liebe zu Frauen nicht öffentlich gemacht, was sie innerlich zerriss. Denn noch immer war der Ruf nach freier Liebe der „Wilden Siebziger“ überschattet von gesellschaftlicher Antipathie, von Homophobie. Noch immer versuchte man, homosexuelle Menschen durch Abneigungstherapien und Elektroschocks zu „heilen“. Jahre vergingen, bis Dusty Springfield sich öffentlich outete. Direkt nach ihrem Outing suchte sie die Abgeschiedenheit. Sie wollte von dem Rummel um sie herum nichts wissen.
„Ich bin gay, gay, gay, gay, gay, gay, gay“
Dusty „wollte eigentlich straight sein, sie wollte eine gute Katholikin sein und sie wollte Schwarz sein“, sagte ihre Liebe Norma Tanega, selbst Musikerin, einmal über sie. Ein Bekennen zur Homosexualität hätte ihre Karriere zerstören können. Die Musikbranche war so homophob und sexistisch. Lesbisch zu sein galt als furchtbar, als schockierend. So zerbrach Dusty in sich: „Ich meine, Leute sagen ich bin gay, gay, gay, gay, gay, gay, gay. Ich bin gar nichts. Ich bin…Leute sind Leute…Grundsätzlich will ich straight sein…Ich wechsle von Männern zu Frauen. Das ist mir total egal. Auf den Punkt gebracht: Ich kann keinen Mann lieben. Das ist mein Aufhänger. Liebe machen, ins Bett gehen – fantastisch; aber einen Mann zu lieben ist meine größte Herausforderung…sie machen mir Angst.“
Nach einem Nervenzusammenbruch verlor Dusty Springfield jeden Rückhalt. Sie vereinsamte. Pillen und Wodka wurden ihr ständiger Begleiter. Sie schlug um sich, warf in wütenden Episoden Gegenstände gegen Wände. Sie stürzte sich in sexuelle Eskapaden. Ihre Karriere lief noch Jahre weiter, aber sie bekam immer weniger Geld für ihre Auftritte. Ihre Erfolge wurden weniger. Schließlich erkrankte sie an Krebs. Sie zog zurück nach England, aß nur noch Blumenkohl und Eiscreme und schaute von morgens bis abends „Bonanza“ auf Deutsch. 1999 starb Dusty Springfield im Alter von 60 Jahren.
Text Irina Kruszinski