„Ich muss nicht zum Frauenarzt gehen, weil ich nur Geschlechtsverkehr mit Frauen habe.” Warum solche Sätze gesundheitsgefährdend sind, das hat Irena Rohr, Oberärztin für Gynäkologie und Geburtsheilkunde an der Berliner Charité, im Podcast Yvonne & Berner ausführlich erklärt. Wir haben das Interview aus der Doppelfolge 17 mit Felicia für dich aufgeschrieben.
Felicia: Wo liegen noch Informationsdefizite speziell für queere Frauen vor?
Dr. Rohr: Was mich zum Nachdenken gebracht hat, war der Satz einer Patientin: „Ich muss nicht zum Frauenarzt gehen, weil ich nur Geschlechtsverkehr mit Frauen habe. Da brauche ich keine Pille“. Die Sensibilisierung der Frauen selbst, aber auch der Frauenärztinnen für dieses Thema, ist wichtig. Sexuell übertragbare Erkrankungen können zu schwerwiegenden Erkrankungen führen, wenn Sie nicht rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Auch in Bezug auf eine Schwangerschaft ist die Kenntnis von gewissen Erregern und deren Konsequenzen, auch auf das ungeborene Kind, sehr wichtig. Chlamydieninfektionen beispielsweise können zu Frühgeburten oder zu schweren Infektionen des Kindes während der Geburt führen.
Felicia: Inwiefern unterscheidet sich für Sie als Frauenärztin der Umgang mit queeren Patientinnen im Vergleich zu heterosexuellen Patientinnen?
Dr. Rohr: Wichtig ist ein offenes, vertrauliches Gespräch mit den Frauen. Die Frauen dürfen nicht das Gefühl bekommen, dass sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Identität diskriminiert werden könnten.
In der medizinischen Versorgung ist die Sensibilisierung für dieses Thema auch unter den Frauenärzt*innen enorm wichtig, um eine risiko- und bedarfsorientierte medizinische Versorgung gewährleisten zu können. Da ich in einer Spezialambulanz für gynäkologische und geburtsmedizinische Infektionen arbeite, sehe ich natürlich primär Patientinnen, die bereits durch eine*n Fachärzt*in gesehen wurden und mit einer speziellen Fragestellung zu uns überwiesen werden. In der Regel haben die Frauen schon einen langen Leidensweg hinter sich. Wichtig ist dabei dann auch die Sexualanamnese, also die Untersuchung der Vorgeschichte einer Krankheit. Vor allem für die Behandlung bei sexuell übertragbaren Erkrankungen spielt dann auch der oder die Sexualpartner*in eine Schlüsselfunktion. Das heißt, wenn nur die Indexpatientin behandelt wird und der oder die Sexualpartner*in nicht, dann kann die Infektionskette schlicht nicht unterbrochen werden.
Häufig bin ich doch sehr überrascht mit welcher Scheu die Frauen von ihren Partnerinnen erzählen. Wenn ich dann näher auf die Gründe eingehe, stecken meistens schlechte Erfahrungen dahinter, Angst vor Diskrimierung, oder schlichtweg Scham. Aber auch Unwissenheit seitens der Patientinnen. Sätze, wie „Das wusste ich nicht, dass das auch beim Sex zwischen zwei Frauen passieren kann.“ habe ich schon öfter gehört.
Felicia: Welche Fragen gibt es da zu klären?
Dr. Rohr: Wichtig ist, sich bewusst zu machen, vor allem im Bezug auf die sogenannten STIs – sexuell übertragbare Infektionen -, dass die lesbische Szene keine keimfreie Zone ist. Die Infektionen kommen nicht durch infizierte Toilettensitze, das können Sie mir glauben. Sexuell übertragbare Erkrankungen können zu schwerwiegenden Erkrankungen führen, wenn Sie nicht rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Hier muss das Bewusstsein auch bei den Frauen selbst gestärkt sein.
Im Bezug auf HIV sind die meisten Frauen gut informiert. Der Übertragungsweg scheint vielen klar zu sein und auch die PEP, die sogenannte Postexpositionsprophylaxe. Das hängt sicherlich mit der großen Medienpräsenz zusammen. Immer wieder habe ich auch Anfragen bezüglich einer PREP, also der Präexpositionsprophylaxe. Hier muss man sich ganz genau das Risikoverhalten der einzelnen Frau anschauen, bevor man eine Empfehlung abgeben kann. HIV ist jedoch nicht das Hauptproblem bei lesbischen Frauen. Das Risiko steigt natürlich, rein statistisch, bei pan- oder bisexuellen Frauen.
Vielmehr spielt die HPV-Infektion eine Rolle. HPV, also die Humanen Papillomviren, sind sexuell übertragbare Viren. HPV kann zum Krebs im Mundbereich, zum Gebärmutterhalskrebs, zum Analkrebs und zum Scheidenkrebs bei der Frau führen. Etwa 80 % aller Frauen und Männer werden im Laufe ihres Lebens mit genitalem HPV infiziert. Gebärmutterhalskrebs ist in über 95% der Fälle, in manchen Studien sogar zu 100%, mit HPV assoziiert, verursacht durch die sogenannten High-Risk-Typen der Viren. Also kein Gebärmutterhalskrebs ohne HPV Infektion. Gebärmutterhalskrebs ist die dritthäufigste krebsbedingte Todesursache bei Frauen weltweit. Aber auch die sogenannten Genitalwarzen werden durch HPV verursacht, genauer gesagt, durch die Low-Risk-Typen. Insgesamt erkrankt jede 10. Person im Laufe des Lebens an Genitalwarzen.
Es gibt zwar nur wenige Studie zu Frauen, die Sex mit Frauen haben, jedoch zeigen die wenigen Studien ganz klar, dass HPV eigentlich ein absolutes Thema bei queeren Frauen ist. Laut einer Studie aus den USA haben lesbische Frauen ein höheres Risiko für Gebärmutterhalskrebs. Die Schlussfolgerung der Autor*innen ist, dass lesbische Frauen weniger an Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen.
Safer Sex? (K)ein Thema für Frauen?
Felicia: Safer Sex – interessiert das Thema keine queere Frau oder gibt es einfach keine Information dazu?
Dr. Rohr: Ich habe nicht das Gefühl, dass dieses Thema die Frauen nicht interessiert. Es gibt auch Ratgeber diesbezüglich, auch einen von der Deutschen AIDS Hilfe. Meine persönliche Wahrnehmung ist jedoch die, dass viele lesbische Frauen zwar das Thema sehr interessant finden, es jedoch eher wenig Anwendung findet. Mir wird häufig durch die Patientinnen vermittelt, dass sie auch selbst das Risiko einer Infektion mit sexuell übertragbaren Erkrankungen nicht für sehr hoch halten. Da kann ich Ihnen aber sagen, dass das nicht stimmt.
In den wenigen internationalen Studien, die dazu existieren, geht man zwar von einem niedrigeren Risiko für HIV, Syphilis oder Gonorrhoe aus. Chlamydieninfektionen scheinen aber gleich bzw. häufiger vorzukommen. HPV-Infektionen sind Schmierinfektionen, das heißt, Kondome und Dental Dams schützen nicht zu 100 %.
Was mir als Frauenärztin bei den mir bekannten Informationsbroschüren zu Safer Sex bei lesbischen oder bisexuellen Frauen fehlt, ist eindeutig der Hinweis auf Präventionsmöglichkeit.
Eine HPV Infektion kann durch eine Impfung verhindert werden. Für die Impfung gab es auch einen Nobelpreis. Das ist ja auch eine Impfung gegen Krebs, das muss man sich mal vorstellen. Seit der Einführung der Impfung werden sie von der gesetzlichen Krankenkasse bis zum 17. Lebensjahr übernommen, danach leider nicht mehr. Der beste Schutz wird vor der Aufnahme des ersten Geschlechtsverkehrs beschrieben. Hier schützt die Impfung bis zu 100%, wenn sie korrekt durchgeführt wird. Seit 2016 gibt es einen neuen Impfstoff, der gegen neun verschiedene Typen schützt. Der alte Impfstoff hat gegen vier HPV-Typen geschützt.
Aber auch nach Aufnahme von Geschlechtsverkehr ist eine Impfung sinnvoll und empfohlen. Auch heute wurden erneut wieder Studien auf dem „World Health Summit“ Kongress vorgestellt, die den Nutzen der Impfung auch nach Aufnahme vom Geschlechtsverkehr eindeutig zeigen.
Außerdem wird auch die Impfung gegen Hepatitis B empfohlen. Wenn Sie vor 2006 geboren sind, dann sind Sie nicht routinemäßig als Säugling geimpft worden. Hepatitis B kann durch Geschlechtsverkehr übertragen werden. Macht nicht den Hauptanteil aus, kann jedoch bei bestimmten Sexualverhalten, auch bei Frauen, Thema sein.
Sind heterosexuelle Frauen gesünder als lesbische und bisexuelle Frauen?
Felicia: Mit welchem Handicap haben alle weiblichen Queers noch zu kämpfen, wenn es um das Thema weibliche Gesundheit geht?
Dr. Rohr: Wir wissen auch durch zahlreichen Studien, dass das Gesundheitsverhalten bei Frauen per se besser ist als bei Männern. Es gibt statistisch gesehen weniger adipöse Frauen, Frauen werden älter, Frauen ernähren sich besser, Frauen rauchen weniger – wobei dieser Trend sich in den letzten Jahren ausgeglichen hat. Wenn man sich aber die Literatur genauer anschaut, dann wird einem bewusst, dass dieser Effekt nicht unbedingt auf lesbische Frauen zutrifft.
In einer schwedischen Studie wiesen lesbische und bisexuelle Frauen in der Altersgruppe bis 45 Jahre einen schlechteren allgemeinen Gesundheitszustand auf als heterosexuelle Frauen, bezogen auf körperliche Erkrankungen, wie Krebs, psychische Erkrankungen, Substanzkonsum und Gewaltbetroffenheit. Internationale Daten zeigen ein höheres Risiko für Brustkrebs.
Wieso das so ist, ist sicherlich nicht so einfach zu beantworten. Auch die fehlende Inanspruchnahme spezifischer Früherkennungsmaßnahmen ist höher als bei heterosexuellen Frauen. Beispielsweise die Vorsorgeangebote zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs und Brustkrebs. Die Diagnose wird erst spät erkannt und behandelt.
Eine bevölkerungsbezogene Studie aus Schweden, die zwischen sexueller Orientierung differenziert, zeigt, dass lesbische und bisexuelle Frauen die am stärksten von Diskrimieurng, Gewalt und Gewaltandrohungen betroffene Gruppe ist.
Last but not least: Sich risikobewusst zu verhalten heißt nicht Enthaltsamkeit zu üben oder nur noch in Schutzanzügen und mit Maske zu knutschen. Es geht um die Minimierung von Infektionen und dazu zählt auch die Kenntnis der eigenen Gesundheit, um sich selbst, aber auch die Partnerin zu schützen.
Ein Handicap ist sicherlich, dass eine heteronormativ ausgerichtete Gesellschaft ein Gesundheitsrisiko für queere Menschen darstellen kann. Dafür im Gesundheitsbereich ein Bewusstsein zu schaffen, kann Leben und Gesundheit von queeren Frauen schützen.
Irena Rohr rät auch Transpersonen zur Vorsorge und damit argumentiert die Gynäkologin entgegen des Transsexuellen Gesetzes, in dem steht, dass Vorsorgeuntersuchungen nach Entfernen von Eierstöcken und der Gebärmutter keine Rolle mehr spielen. Die Berliner Oberärztin weist ausdrücklich darauf hin, dass eine Vorsorge zwingend notwendig ist. Dies gelte auch für Personen mit einer künstlichen, sogenannten Neovagina.
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