Ich unterhalte mich mit einem Bekannten über Sport. Wir landen beim Fußball und kommen auf Frauenfußball zu sprechen. Ich erzähle von meinem Podcast Sportsidols, warum ich es wichtig finde, dass insbesondere auch weiblicher Teamsport mehr beachtet wird. Er hört zu, widerspricht mir nicht, sagt dann lächelnd: „Ist ja gut. Ich habe nichts gegen Frauen und Sport. Manchmal schaue ich sogar Tennismatches von Frauen. Finde ich richtig spannend, sind super Spiele. Aber Frauenfußball…Moment, ich zeige dir was bei YouTube.“ Zu sehen bekomme ich Trottel-Fußball, eindrucksvoll von Frauen vorgetragen:
Der Fußball, gespielt von Frauen, feiert in Deutschland seinen 50. Geburtstag. Das ist insofern besonders, als dass zwischen 1955 und 1970 Frauenfußball in Deutschland verboten war. Schuld daran war, dass er, laut dem DFB, als unmoralisch galt. Auf seinem Bundestag in Berlin am 30. Juli 1955 verwies der DFB die Frauen des Feldes. Eine Rote Karte ohne Diskussion. Einstimmig und auf Antrag des Verbandes Niederrhein. „Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden, und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand“, begründete der Sportverband seine Entscheidung.
„Das Treten ist wohl spezifisch männlich“
Argumentationshilfe bekamen die Frauenfußballgegner im DFB von einem renommierten Psychologen namens Frederik Buytendijk. Der Niederländer gelangte zu der Erkenntnis, dass Frauen und Fußball keinesfalls zusammen passen würden. In seiner Studie zum Fußballspiel hieß es: „Im Fußballspiel zeigt sich in spielender Form der Wert der männlichen Welt. Es ist noch nie gelungen, Frauen Fußball spielen zu lassen. Das Treten ist wohl spezifisch männlich, ob darum Getretenwerden weiblich ist, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist das Nichttreten weiblich.“
Als Buytendijks Studie 1953 erschien, war der Frauenfußball in Deutschland beliebt. Viele Frauen kickten bereits auf der Straße und die Beliebtheit steigerte sich nach dem Weltmeistertitel 1954, dem sogenannten „Wunder von Bern“, noch weiter. Die Hochburg des Frauenfußballs war damals das Ruhrgebiet, der beste Verein Fortuna Dortmund und die Bild-Zeitung in Hamburg schrieb von einem regelrechten „Fußball-Sturmlauf auf Stöckelschuhen“. Die Frauen hatten aber kein Spielglück. Das hatte nicht nur mit absurden Studien, sondern auch mit dem gesellschaftlichen Rollenverständnis zu tun. Das Grundgesetz stellte 1949 zwar Mann und Frau gleich, dies entsprach im wahren Leben aber oft nicht der Realität: Bis 1954 durften verheiratete Frauen nicht im öffentlichen Dienst arbeiten. Bis in die 1960-er Jahre nicht ohne die Genehmigung ihres Mannes ein eigenes Konto eröffnen. 1955 herrschte zudem noch das sogenannte „Lehrerinnenzölibat“, wonach Lehrerinnen nicht heiraten durften. Zudem galt bis 1977 die gesetzliche Regelung, dass Frauen den Haushalt zu führen haben. Das Fußballverbot war somit Ausdruck desselben Zeitgeistes. Konkret sah es so aus: Im DFB organisierte Vereine durften keine Frauenfußball-Abteilungen unterhalten oder ihre Sportplätze für Frauen bereitstellen. Schiedsrichtern war es ausdrücklich verboten, Spiele mit Frauen zu pfeifen. Zahlreiche Frauen gründeten aus diesem Grund wilde Mannschaften und spielten „im Untergrund“, abseits offizieller Vereinsstrukturen.
Das Ende der Schikane gegen Frauen am 31.10.1970
Die Schikane gegen Frauen hob der DFB erst am 31. Oktober 1970 auf, weil die Fußballerinnen kurz davor standen, einen eigenen Verband zu gründen, wie es z.B. die Frauen im Tennis 1973 mit der WTA mit Erfolg taten. Die Männer wollten scheinbar Herr der Lage bleiben und die Regeln bestimmen. Mit dieser Aufhebung war von Gleichberechtigung allerdings nichts zu spüren. Stattdessen gab es ein eigenes groteskes Regelwerk für Frauen. Keine Stollenschuhe, nur Jugendbälle, eine verkürzte Spielzeit von zweimal 30 Minuten bis 1993 – und das auch nur bei guten Wetterverhältnissen und nicht während der Wintermonate. Das erste Länderspiel bestritt das Nationalteam dann auch standesgemäß in Trikots der Jugendmannschaft und in schwarzen Hosen, die der DFB kurzerhand noch nähen ließ. Das war im November 1982 in Koblenz. Die spätere und sehr erfolgreiche Bundestrainerin Silvia Neid steuerte bei diesem 5 – 1 Premierensieg gegen die Schweiz zwei Tore bei.
Nach wie vor ist die Vereins- und Verbandsstruktur ist tief männlich geprägt. Noch immer ist der größte Sportverband der Welt dominiert von Männern, die Frauen mitspielen, aber bislang nicht mitregieren lassen. Aktuell (Stand 2020) gehören dem siebzehnköpfigen DFB-Präsidium 16 Männer und eine Frau an. Das ist Hannelore Ratzeburg. Immerhin ist Mirjam Berle neue Direktorin der Direktion „Öffentlichkeit und Fans“.
Der Weltfußballverband FIFA hat sich eine Quote von mindestens sechs Frauen in seinem höchsten Organ, dem 37 Menschen starken Rat, verordnet und mit Fatima Samba Diouf Samura eine Frau zur Generalsekretärin gewählt. Das IOC hat in der Olympischen Agenda 2020 das Ziel eines 50-prozentigen Frauenanteils bei den Olympischen Spielen ausgelobt und schreibt „Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern“ als Auswahlkriterium für eine IOC-Mitgliedschaft vor.
Das Bewusstsein ist gestiegen, damit sich aber wirklich etwas ändert, braucht es Willen, Macht und eine Haltung, wie sie etwa der kanadische Premierminister Justin Trudeau 2015 an den Tag legte, als er sein Kabinett zu 50 Prozent mit Frauen besetzte – seine einfache Begründung: „Weil es das Jahr 2015 ist!“
So weit sind wir im Sport des Jahres 2020 nicht. Das liegt nicht nur an Corona und anderen Sorgen. Die Männerdominanz ist nach wie vor präsent im Fußball und anderen Disziplinen. Ebenso die anhaltenden Vorbehalte, mit denen Frauen und Mädchen im Sport zu kämpfen haben. Die Berichterstattungen der Medien unterstreichen dieses Bild. In den Sportredaktionen sind Männer in der Überzahl und berichten laut Forschungsergebnissen der Sporthochschule Köln zu 85 Prozent über Männersport. Dies hat selbstverständlich Folgen. Es macht Frauen weniger sichtbar und somit deutlich seltener zum Vorbild. Über 50 Prozent der Jungen haben männliche Sportler als Vorbilder. Und wehe, eine Frau kommentiert Männersport. Und auch noch ein Männer-WM-Spiel. Dann gibt es auch jetzt noch einen Aufschrei.
Fußballnationalspieler Emre Can, der bei Juventus Turin spielt, gab 2018 zum Besten: „Das soll Rot sein? Wir sind doch keine Frauen, ehrlich.“ Emre Can entschuldigte sich im Nachhinein für diese Aussage. Dennoch macht sie deutlich, welche Geschlechtervorstellungen im Sport und in der Gesellschaft tief verwurzelt sind. Schwitzen, rennen, kämpfen, foulen – das ist männlich, nicht weiblich. Frauen, die Fußball spielen, können in dieser Debatte um Gleichberechtigung ebenfalls gut mitreden. Sie bekommen im Laufe ihrer Sportkarriere einige Kommentare ab. Tuğba Tekkal, ehemalige Bundesligaspielerin des 1. FC Köln und Chefin der Scoring Girls, einem Mädchenfußballprojekts des Vereins Hawar.help, erinnert sich an zahlreiche Reaktionen, wie zum Beispiel: „Für eine Frau spielst du gar nicht mal so schlecht“ oder „Man sieht dir gar nicht an, dass du Fußball spielst, ihr seht doch normalerweise anders aus.“
Die Berichterstattungen der Medien unterstreichen dieses Bild noch. In den Sportredaktionen sind Männer in der Überzahl und berichten laut Forschungsergebnissen der Sporthochschule Köln zu 85 Prozent über Männersport. Dies hat selbstverständlich Folgen. Es macht Frauen weniger sichtbar und somit deutlich seltener zum Vorbild. Über 50 Prozent der Jungen haben männliche Sportler als Vorbilder. Und wehe, eine Frau kommentiert Männersport. Und auch noch ein Männer-WM-Spiel. Dann gibt es auch jetzt noch einen Aufschrei.
Abschaffung von struktureller Diskriminierung
Fußball ist unter Frauen beliebt. Mehr als eine Million Frauen und Mädchen sind in Deutschland in Fußballvereinen aktiv. Was ihnen nur insgesamt fehlt: Vorbilder und ein sport-gesellschaftliches Setting, das Gleichberechtigung auch wirklich lebt. Das Überdenken von Geschlechterrollen, dem Fördern von Frauen in Männerdomänen, dem Kampf um Gleichberechtigung, die zahlreichen Initiativen zur Stärkung aller Geschlechter und der Streit um Frauenquoten gehören zu unserem Alltag. Jetzt muss das alles in der Ur-Sphäre von Körperlichkeit und den Unterschieden zwischen den Geschlechtern, dem Sport ankommen. Eine besondere Herausforderung. Bei MINT-Fächern in der Schule oder bei einem Informatikstudium an der Universität reichen Marketing und strukturelle Förderung von Frauen aus, um gleiche Leistungen wie Männer zu erbringen. Aber beim Sport werden Frauen, Stand heute, niemals die gleichen körperlichen Leistungen auf naturgegebener Basis schaffen wie Männer. Das darf nicht die Ausrede sein, dass wir strukturelle Diskriminierung dulden.
Der größte Gegner ist das Klischee – 50 Jahre Frauenfußball
Die Dokumentation der Sportschau über 50 Jahre Frauenfußball widmete sich im Sommer diesem Thema. Autor Jürgen Schmidt erzählt darin die Geschichte von Frauen nach – die gegen alle Widerstände Fußballerinnen wurden. Natürlich geht es auch um Begriffe wie Kampflesbe und um Stigmatisierung.
Klara Bühl, deutsche Nationalspielerin vom FC Bayern München, sagt über die Sportschau Dokumentation in meinem Podcast Sportsidols: “Ich war anfangs etwas schockiert über die Aufnahmen und Statements, die da gefallen sind.” Die ehemalige Spielerin des SC Freiburg ist froh, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten vieles zu Gunsten des Frauenfußballs entwickelt.