Gott liebt mich

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Written by Straight Redaktion

25. März 2016

Homosexuell sein – das ist ok. Homosexuell leben – das ist vor Gott Sünde. Sagt angeblich die Bibel. Aber stimmt das? Christina Bergmann, Pfarrerin der Evagelischen Kirche von Westfalen, ist ganz anderer Meinung.

Das ist bitter: In den großen US-Kirchen war die christliche Sängerin Vicky Beeching lange ein Star. Mit 45.000 Followern auf Twitter galt sie als einflussreichste Christin ihrer Generation. Vor zwei Jahren outete sich die damals 35-Jährige als Frau, die Frauen liebt. Seitdem muss sie auf den Jubel ihrer Fans weitgehend verzichten, denn für viele evangelikale Christen in den USA ist Homosexualität Teufelswerk. Dieser Meinung war Vicky Beeching lange Zeit sogar selbst. Vor 4.000 Menschen bat sie als 16-Jährige darum, von ihren Gefühlen für Frauen geheilt zu werden. Vergeblich. Dann hielt ihr Körper die ständigen Zerreißproben nicht mehr aus – sie wurde krank. 2014 zitierte „Der Spiegel“ sie mit den Worten:

„Es ist herzzerreissend: Ausgerechnet die Lehre der Kirche ist daran schuld, dass ich so viele Jahre in Schmerz und Isolation gelebt habe.“ 

Lossagen wolle sie sich aber trotzdem nicht von der Kirche: „Ich will Teil eines Veränderungsprozesses sein.“ Denn von einem ist sie überzeugt: „Gott liebt mich so, wie ich bin.“ Homosexualität ist Sünde, und dieser Sünde folgt Strafe auf dem Fuß – in dieser Welt oder in der kommenden. Mit diesem Verdikt haben Schwule und Lesben über Jahrhunderte leben müssen. Gleichzeitig ein homosexuell veranlagter und ein von Gott und seiner Kirche geliebter Mensch zu sein – fast eine Unmöglichkeit. „Wo ich die Bibel auch aufschlug, stieß ich auf einen strafenden Gott, der von mir verlangte, anders zu werden, als ich sein kann. Würde Gott mich nicht fallen lassen, wenn ich weiter ,sündigte‘?“ Mit diesen Worten zitiert ein 1992 von der Evangelischen Kirche im Rheinland verfasstes Arbeitspapier zu „Homosexueller Liebe“ eine 48-jährige lesbische Frau.

Lesbische Frauen, schwule Männer: Im Heilsplan Gottes ist angeblich kein Platz für Menschen, die nicht der heterosexuellen Norm entsprechen. Oder doch? In einem Interview mit dem Journalisten Meinhard Schmidt-Degenhard antwortete der im Jahr 2000 verstorbene Erzbischof von Fulda, Johannes Dyba, auf die Frage nach schwulen Mitbrüdern: „Wenn das die Veranlagung ist, dann muss er damit leben. Aber eine solch widernatürliche Veranlagung kann man nicht ausleben, man kann sie akzeptieren … als ein großes Opfer, das ihm abverlangt wird. Das ist in der Heiligen Schrift völlig eindeutig.“ Sich von Gott und seiner Kirche angenommen fühlen, das kann ein homosexueller Mensch nach den Einschätzungen des Bischofs also nur dann, wenn er – oder sie – ein freiwillig zölibatäres Leben führt. Ein solches Ansinnen kann man als zynisch, weltfremd und unzumutbar betrachten, aber gibt die Bibel dem gewesenen Erzbischof – Spitzname „Flammenschwert Gottes“ – nicht recht? Im Alten Testament steht: „Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; Es ist ein Gräuel.” (Levitikus 18,22). Und weiter heißt es: „Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und beide sollen des Todes sterben.“ (Levitikus 20,13). Eine Forderung, gegen die sich jene des Erzbischofs geradezu human ausnimmt. Raum für Interpretationen lässt auch Römer 1,26–27 anscheinend nicht: „Darum hat sie Gott dahingegeben in schändliche Leidenschaften; denn ihre Frauen haben den natürlichen Verkehr vertauscht mit dem widernatürlichen; desgleichen haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen und sind in Begierde zueinander entbrannt und haben Mann mit Mann Schande getrieben und den Lohn ihrer Verirrung, wie es ja sein musste, an sich selbst empfangen.“ 

Christina Bergmann, Pfarrerin im Evangelischen Kirchenkreis Arnsberg, schüttelt den Kopf. „Was auf den ersten Blick so eindeutig erscheint, ist es auf den zweiten schon nicht mehr. Und zu diesem zweiten Blick sind wir als Theologinnen und Theologen geradezu verpflichtet, denn für jeden einzelnen homosexuell veranlagten Christen und für jede einzelne homosexuell veranlagte Christin ist dieser zweite Blick existenziell wichtig – als ChristIn und als Mensch.“ Die Pfarrerin hat sich jene Bibeltexte genau angesehen, auf deren Aussagen die Ablehnung homosexueller Liebesbeziehungen zum größten Teil beruht. Sie kommt zu einem ganz anderen Ergebnis als der Erzbischof: „Unzüchtige, Lustknaben und Knabenschänder stehen in all diesen Texten in einer Reihe mit Dieben, Trunkenbolden und Räubern. Wenn man sich den Kontext dieser Bibelzitate ganz genau ansieht, dann geht es dabei niemals um eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft, in der beide bereit sind, sich dauerhaft, verlässlich, verbindlich, treu, rücksichtsvoll, loyal und fürsorglich an ihren Partner, ihre Partnerin zu binden.“ Und sie fügt an: „Tatsächlich beziehen sich diese Bibelstellen ausschließlich auf homosexuelle Handlungen eigentlich heterosexueller Männer im Zusammenhang mit heidnischen Praktiken und götzendienerischen Riten. Es geht um Tempelprostitution – oft mit Knaben –, um Sonderformen des erotischen Vergnügens oder auch sexuelle Unterwerfungspraktiken, gegen die sich das jüdische Volk nach Auffassung seiner Rechtsgelehrten abgrenzen sollte.“ Ähnlich sieht das die evangelische Theologieprofessorin Isolde Karle. In ihrem Buch „Liebe in der Moderne“ aus dem Jahr 2014 schreibt sie: „Die Möglichkeit einer sexuellen Disposition, die Menschen nicht selbst zu verantworten haben, und ein verantwortlicher Umgang mit dieser Disposition in einer partnerschaftlichen Beziehung liegen nicht im Horizont der biblischen Schriften.“

„… wie können wir Menschen dann entscheiden, was in Sachen Sexualität „natürlich“ und damit gut und richtig ist?“

Entstanden ist die Homophobie der Kirche also in Abgrenzung zu den sie umgebenden heidnischen Gesellschaften. Im antiken Griechenland genossen homoerotische Beziehungen tatsächlich hohes Ansehen. Erst die christliche Moralethik verdammte homosexuelle Partnerschaften als „wider die Natur“. Was aber ist natürlich, also von der Natur vorgegeben? Christina Bergmann lacht: „Wenn wir uns Gottes Schöpfung genauer ansehen, dann werden wir feststellen, dass es in ihr viele Spielarten gibt. Es gibt Affen, die homosexuell aktiv sind, es gibt Tiere, die zur Fortpflanzung gar keinen Partner oder keine Partnerin brauchen. Und es gibt die Pantoffelschnecke, die als Männchen geboren und später zu einem Weibchen wird. Die Natur gibt also keine klaren Vorgaben, sondern sie präsentiert sich in der reichen und bunten Vielfalt Gottes.“ Wenn die Natur selbst – also Gottes Schöpfung – sich nicht festlegen und vereinheitlichen lässt, wie können wir Menschen dann entscheiden, was in Sachen Sexualität „natürlich“ und damit gut und richtig ist? „Was wir als natürlich und damit als richtig und gut empfinden, unterliegt immer den aktuellen kulturbedingten Vorstellungen, die eine Gesellschaft für sich selbst durchdekliniert. Natürlichkeit und Widernatürlichkeit sind also einem permanenten Veränderungsprozess unterworfen und deshalb keine Maßstäbe, die man bei homosexuell veranlagten Menschen überhaupt anlegen könnte“, erklärt die Theologin. 

Deutlich wird der kulturell-gesellschaftliche Einfluss auf das, was wir natürlich und/oder gottgewollt nennen, auch in anderen Textstellen: Die Bibel setzt Sklaverei als gegeben voraus und erlaubt unter bestimmten Bedingungen sogar den Verkauf der eigenen Tochter an einen fremden Herren. Trotzdem fordern selbst bibeltreue Christen nicht, die Sklaverei wiedereinzuführen. Gleiches gilt für die „Empfehlung“, ungehorsame Kinder zu züchtigen oder in bestimmten Fällen sogar zu steinigen (Deuteronomium 21,18–21). Welche Erzieherin oder welcher Pädagoge würde heute noch prügelnde Eltern oder schlagende Lehrer biblisch legitimieren? Über manches, was vor 2.000 Jahren als unsittlich galt, können wir heute tatsächlich nur noch schmunzeln. Oder welcher moderne Mann mit christlichen Überzeugungen wird demnächst mit wallendem Barthaar im Büro erscheinen, nur weil er Levitikus 19,27 gelesen hat: „Ihr sollt euer Haar am Haupt nicht rundherum abschneiden noch euren Bart stutzen.“?

Christina Bergmann ist überzeugt: „Die einzig ewig gültige göttliche Norm ist die Liebe. Als Kirche, die sich von der göttlichen Liebe leiten lässt, ist es unsere Verpflichtung, die biblischen Texte und auch ihre – auf den ersten Blick – normierenden Vorschriften im kulturellen Kontext ihrer Zeit zu betrachten. Eine Verpflichtung, die umso wichtiger ist, weil wir Theologinnen und Theologen jahrhundertelang über das Leid gleichgeschlechtlich liebender Menschen sehr achtlos, lieblos und ausgrenzend – aber angeblich bibeltreu – hinweggepredigt haben. Die Bibel hat eine andere Botschaft für uns: Gott ist Liebe, und diese Liebe durchdringt jeden Baum, jeden Grashalm, jedes Tier und jeden Menschen. Unsere irdische Liebe ist ein Geschenk Gottes, das uns daran erinnern soll, dass Gottes Liebe in uns und wir in Gottes Liebe leben  – und zwar unabhängig davon, wem wir unsere irdische Liebe schenken!“ Vicky Beeching – und nicht nur sie – wird diese Botschaft gerne hören. 

Autorin: Anette Lübbers / Illustration: Caro Mantke

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