Unsere STRAIGHT Autorin Lou Zucker sieht im Nachtleben viele schwule Männer und wenige frauenliebende Frauen. Auf der Suche nach einer Erklärung dafür hörte sie immer wieder das Klischee „Lesben bleiben halt eher mal auf dem Sofa“. Das fand Lou unangemessen und recherchierte. Ein Text über die Sichtbarkeit von frauenliebenden Frauen in der Nacht.
Meine Mädels haben sich vorgenommen, heute Abend meinen Liebeskummer zu therapieren und stehen entschlossen seit einer Stunde vor dem Club an. „Ihr wisst, was das hier für eine Party ist? Ihr wart schon mal hier?“, fragt der Türsteher. Wir nicken. Neben ihm an der Wand hängt ein Schild: „Für Schwule, Lesben, Trans*“. Drinnen ist die Stimmung heiß und ausgelassen. Doch bevor ich, wie geplant, nach hübschen Frauen Ausschau halten kann, muss ich erstmal überhaupt nach Frauen Ausschau halten. Ich laufe einmal den kompletten dancefloor ab und finde zwei, drei Grüppchen. Der Männerüberschuss im Raum ist überwältigend.
Als Frau, die Frauen liebt bekomme ich in der Berliner queeren Szene manchmal den Eindruck, uns gibt es gar nicht. In dieser hippen Metropole mit ihrer international bekannten Schwulenszene gibt es ganze drei Bars, die jeweils einen Abend in der Woche der Frauenliebe widmen. „In Berlin sind wir noch relativ verwöhnt“, findet Zoe Rasch, Mitveranstalterin der Berliner Frauenparty Girls Town. „Es gibt hier keinen Mangel an Partyformaten, wir müssen uns untereinander absprechen“, erzählt sie. Auch neue interessante Undergroundformate entstünden ständig. Aber vor allem in kleineren Städten, so Rasch, „leben Lesben in der Unsichtbarkeit.“
Tatsächlich gibt es selbst in der Homohochburg Köln genau eine mehrheitlich lesbische Bar, in München hat die traditionsreiche Lesbenkneipe Inges Karotte als letzte ihrer Art geschlossen und auch in Hamburg reduziert sich das frauenliebende Feierangebot auf monatliche Partys. Stuttgarterinnen, die Frauen treffen wollen müssen sogar bis in die nächste Stadt fahren um einmal im Monat zur „Frauendisko“ im Esslinger Kulturzentrum Dieselstraße zu gehen.
„Das ist eine Zielgruppe, die gerne mal auf dem Sofa bleibt““
Explizite Frauenbars gibt es auch in Berlin nicht mehr. Und obwohl die Djane und erfahrene Partyveranstalterin Rasch überzeugt ist, dass Schutzräume für Lesben und queere Leute geschätzt und gebraucht werden, hat sie sich bewusst dazu entschieden, die Girls Town nur fünf mal im Jahr stattfinden zu lassen. „Das ist eine Zielgruppe, die gerne mal auf dem Sofa bleibt“, behauptet sie. „In Hamburg ist es nicht anders, als in den meisten anderen Städten“, erzählt Karin Kauffmann, die seit 19 Jahren in Hamburg die alpha girls Lesbenpartys veranstaltet. „Es wird sich in ausgewählten (oft gay friendly) Bars oder Cafés getroffen oder die Frauen verabreden sich über Gruppen bei Facebook oder Lesarion“. Sie bedauert allerdings, dass es keine festen lesbischen Bars mehr in Hamburg gibt. “wir versuchen neue Ideen anzubieten und es sieht gut damit aus“. Eine feste Einrichtung wird sie allerdings nicht eröffnen. „Viele trauen sich nicht, was aufzumachen“, berichtet Claudia Lenzen von der Blue Lounge, einer 13 Jahre alten Institution der Kölner lesbischen Szene. Das wirtschaftliche Risiko, eine Bar explizit für Lesben anzubieten, sei sehr hoch. Auch die Blue Lounge müsse sich ständig neu erfinden und jede Menge Programm bieten, um sich halten zu können. Gleichzeitig beobachtet Lenzen, dass frauenliebende Frauen selbstbewusster geworden sind, sich früher outen und überall feiern gehen, auch in Heteroläden. „Diese Freiheit ist ja auch wundervoll“, findet die DJ. Dennoch sagt sie: „Schwule feiern heftiger“ und auch Karin Kauffmann aus Hamburg beobachtet, dass Partys mit dem label „queer“ oder „gay-mixed“ oft vor allem von schwulen Männern besucht werden. Eine Freundin von ihr hätte diesen unausgeglichenen Ausgehzustand einmal so zusammengefasst: „Frauen haben einen Nestbautrieb, der speziell bei Paaren zum Tragen kommt und die Gay Boys sind mehr mit einem Jagdtrieb ausgestattet.“ Kauffmann schließt ein Fünkchen Wahrheit in diesem alten Klischee nicht aus, sieht es aber differenzierter: „Ich persönlich denke eher, dass es am Geschmack und dem Budget der einzelnen Menschen liegt, wie oft und wo sie zum Feiern gehen“.
Lesbische Paare haben weitaus häufiger Kinder als schwule Männer
Das Budget könnte tatsächlich eine Rolle spielen. Eine 2009 von einer Gay-Marketingfirma in Auftrag gegebene Studie schätzt das Durchschnittsgehalt schwuler Männer in Österreich mit 34.700 Euro um einiges höher ein als das der Gesamtbevölkerung mit 13.000 Euro. Zudem seien schwule Männer oft konsumfreudiger als heterosexuelle und hätten auch mehr Geld zum Konsum zur Verfügung, weil die meisten von ihnen keine Familie und Kinder unterhalten würden. 2006 kam die gleiche Studie zu dem Ergebnis, schwule Männer würden 30% mehr Geld fürs Ausgehen ausgeben als heterosexuelle. Eine Metaanalyse englischsprachiger Studien von 2012 kommt zu einem anderen Ergebnis. Der US-amerikanischen Ökonomin Marieka Klawitter zufolge verdienen schwule Männer weniger als heterosexuelle Männer, lesbische Frauen im Schnitt hingegen mehr als heterosexuelle Frauen, obwohl sich die Ergebnisse der einzelnen Studien in diesem Punkt stark unterscheiden. Der „Double-Income-No-Kids“-Faktor dürfte allerdings dennoch zugunsten der schwulen Einkommen zum Tragen kommen. Nach wie vor haben lesbische Paare weitaus häufiger Kinder als Schwule. War eine frauenliebende Frau zuvor einmal mit einem Mann verheiratet, lässt sich laut der Studie kein Gehaltsvorsprung gegenüber Heteras feststellen. Letzlich dürfte der Gender Pay Gap, der in Deutschland immernoch 22% beträgt, auch lesbische Frauen betreffen.
Ist es die geringere Kaufkraft allein, die Gastronomien mit einer weiblichen Zielgruppe das Überleben so schwer macht? Oder ist doch etwas dran an dem Nestbau-Klischee? In einer Marktforschungsuntersuchung der European Business School Reutlingen von 2004 heißt es: „die Festigkeit und Dauer der Partnerbeziehungen scheinen für Lesben eine weitaus größere Rolle als für homosexuelle Männer zu spielen“. Außerdem seien Wärme, Geborgenheit, Vertrautheit und Tiefsinn für die Mehrheit der befragten Lesben wichtige Werte.
Prof. Dr. Sabine Hark, Leiterin des Zentrums für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, hat einen anderen Erklärungsansatz für das ungleiche Genderverhältnis im queeren Nachtleben. Neben dem geringeren Einkommen von Frauen betont sie, dass Öffentlichkeit – und damit auch die Kneipenszene – historisch gesehen ein Ort von und für Männer sei. „Gehen Sie an jedem beliebigen Abend in dieser Republik in eine Bar, eine Kneipe oder Ähnliches und Sie werden dort immer mehr Männer* als Frauen* antreffen, gleich ob es sich um eine Hetero- oder queere Lokalität handelt“, sagt die Professorin. „Diese geschlechtsgebundene Trennung von Öffentlich und Privat in modernen Gesellschaften ist eben längst nicht überwunden“.
Fotos Intissare Aamri