Olympische Spiele 2016. Bahnradfahren. Eine Freundin und ich sitzen mit Chips auf der Couch. Wir schütteln beide den Kopf über angebotene die Kameraperspektive. Die ist beim Start auf die Athlet*innen von vorne unten nach oben gerichtet. Nie gut, denken wir ans Gesicht, an die Nase von unten. Voll in die Löcher rein. So war das da auch. Im Mittelpunkt des Kamerabildes die primären Geschlechtsmerkmale, mit wuchtigem Abdruck auf der engen Kleidung. Wir fragen uns, was soll uns dieses Bild nun sagen?! Das ist Sexismus. Am nächsten Tag stolpere ich beim Medienhopping über die Überschrift „Schamhaarpflicht für Englands Rad-Girls“, recherchiert von der britischen Boulevardzeitung „The Sun“.
Den Link schicke ich meiner Freundin. Es folgt ein reger SMS Austausch. Hier ein kleiner Auszug.
Natürliche Rangordnung im Sport: Männer vorn
Es gibt eine Ungleichbehandlung zwischen Frauen und Männern. Die Männer dominieren. Im Sport wird das Problem besonders offensichtlich, wie auch der Film Battle of the Sexes aktuell in den Kinos zeigt. Der Männerkörper ist dem der Frau überlegen und beim Sport, wo Körper und die körperliche Leistungsfähigkeit im Mittelpunkt stehen, ergibt sich dadurch scheinbar eine natürlich Rangordnung. Beim Blick auf die Medien manifestiert sich dieses System. In der Sportberichterstattung gibt es eine Überrepräsentanz an Sportlern und männerdominierten Sportarten, sowie den Menschen, die schauen und darüber berichten. Sportredaktionen sind eine Männerdomäne. Zusammengefasst: Männer können mehr, haben natürlicherweise mehr Ahnung vom Sport als Frauen und brauchen mehr Raum. Wo Dysbalance existiert, ist Ungerechtigkeit sowie Frauendiffamierung und Sexismus eine natürliche Folge.
Arbeiten in einer Sportredaktion
Die Empörung über Sexismus und Geschlechterungleichgewicht im Sport habe ich immer geteilt. Dennoch scheute ich mich ins laute Social Media-Horn zu blasen, obwohl ich fast schon für eine Frauenquote im Sport bin. Ich reagierte auf die weibliche Benachteiligung bislang eher stumpf, dachte bei jedem Aufschrei, ja, ich weiß, so ist das da. Ich arbeitete selbst ein paar Jahre als Reporterin und Moderatorin in deutschen Sportredaktionen. Zeitung, Fernsehen und Radio. Das macht auch dumpf.
Nach dem Abi (Lieblingsfach Sport) erschien mir Sportjournalismus als der Traumjob. Dass sich das trotz Möglichkeiten und Förderung als Fehleinschätzung entpuppte, hat vielerlei Gründe. Eines ist aber gewiss: Die überbordende und facettenreiche Männlichkeit beim Sport hat mich früher tief verunsichert. Für mich war unter diesen Bedingungen mit tradiertem Rollenverständnis einer gesamten Branche keine positive persönliche wie auch berufliche Entwicklung möglich. Eine Erinnerung:
Konferenz in einer deutschen Sportredaktion. 50 Meinungsmacher*innen (überwiegend Männer) in Sachen Leibesertüchtigung der Eliten sitzen zusammen. Es wird zurück geblickt auf das Wochenende. Am Sonntag war in der programmeigenen Sportsendung eine promovierte Kickboxerin zu Gast. Ein Kollege, der gerne leger im Stuhl hängt und seine Beine dabei vornehmlich breitet, quittiert kaugummikauend den Besuch der Sportlerin im Studio mit folgenden Worten: „Mich hat das nicht interessiert. Alles was ich mir gemerkt habe: Hinten raus kommt sie immer noch mal!“ Fast alle lachen. Über eine sexistische Bemerkung.
„Jetzt seid ihr zwei Blondies in der Moderation“
Mich lähmte das. Die Reduzierung von Frauen zum Objekt, die ständige Sexualisierung ist fast selbstverständlich. Aussprüche der Kollegen ließen mich an meinem beruflichen Umfeld und meiner Aufgabe zweifeln und noch schlimmer: an mir. Denn ich selbst bekam in diesen Konferenzen ebenfalls viel ab. An Moderator*innen wird sich gerne verbal ausgelassen, ich war eine Art Freiwild. Jung, unbekannt, unerfahren. Nach meiner ersten Sendung wurde ich als das kleine Mädchen, die die Sendung moderiert, bezeichnet. Ich war damals in den Zwanzigern, hatte mein Volontariat hinter mir und mich in einem Casting durchgesetzt. Ich war bereit für den Job. Aber diese verbalen Ausschläge, die auch schon vor der ersten Sendung auf mich einprasselten, setzten mir zu. Ich hatte das Gefühl mehr bringen zu müssen, um geduldet zu werden und fühlte mich ständig unter Druck. Bloß keine Fehler machen, immer den Männern zeigen, dass ich am Ball bin, 1000 Mal erwähnen, dass ich selbst Fußballerin war. Gedanklich war ich immer auf Vorleistung getrimmt. Hinzu kamen dümmliche Kommentare von den Testo-Kollegen wie: „Jetzt seid ihr zwei Blondies in der Moderation“ – dass die anderen Männer gleiche Haarfarbe und -länge und fast das gleiche Brillengestell trugen war dagegen nie ein Thema. Genauso wenig wurde deren fachliche Kompetenz angezweifelt, die aber meiner anderen weiblichen Kollegin schon. Frauen müssen mehr bringen. Trotz aller Schwierigkeiten hielt ich lange Zeit am Sportjournalismus fest und wechselte in eine neue Redaktion, in der viel mehr Frauen arbeiten. Das Klima dort war angenehmer, der Ton in den Konferenzen zum Beispiel deutlich konstruktiver. Trotzdem war der Abschied aus der Branche für mich die einzige Chance zur Emanzipation. Denn ich konnte nicht länger da sein, wo Themen so offensichtlich wie selbstverständlich mit weniger Frau, mehr Mann zu tun hatten. Denken wir dabei nur an den Volkssport Nummer eins Fußball. Der dominiert inhaltlich abseits von Großereignissen wie den Olympischen Spielen die Sportberichterstattung in Deutschland. Um präziser zu sein: Männerfußball. Wichtiger Punkt, auf den ich auch in meiner Zeit als Sportjournalistin explizit von einem Kollegen hingewiesen wurde. Sinngemäß sagte er damals zu mir: „Es sind ja auch Männer, die den Sport machen und da ist es nicht verwunderlich, dass vor allem andere Männer darüber berichten.“
Das natürliche Selbstverständnis ist da. Von allen Seiten. Sport, Medien, Volk. Auch bei den Zuschauer*innen. Die flippen aus, wenn plötzlich eine Frau Männer-Spiele bei der Fußball-Europameisterschaft kommentiert. Dass wir 2016 dem ZDF fast für den Mut danken müssen, Claudia Neumann als Kommentatorin eingesetzt zu haben, ist traurig, aber Fakt, und sie vor den Hasskommentaren zu schützen, ist unwürdig. Frauen sind im Sport noch Lichtjahre von Gleichberechtigung entfernt.
Deutschland 2016. Nach #ITASVE @ZDFsport muss ich das leider wiederholen: https://t.co/8onEXNdjd7 #ollerfussball pic.twitter.com/61dkAJtmIx
— Birthe Sönnichsen (@bsagt) June 17, 2016
Über Menschen, die in der Öffentlichkeit arbeiten ergießt sich fast immer auch ein Shitstorm. Der feine Unterschied: Ein Tom Bartels wird nicht für sein Geschlecht kritisiert. Elmar Theveßen, stellvertretender Chefredakteur des ZDF, twitterte zum olympischen Schwimmbattle der Russin Julija Jefimowa und ihrer amerikanischen Konkurrentin Lilly King was von Catfight. Unnötig. Der Begriff Catfight impliziert zum Einen etwas Sexuelles – Frauen als Objekt -, zum Anderen spielt er offenbar auf frauentypisches Verhalten (kratzen, beißen und haareziehen) an. Da sind wir doch 2016 schon weiter.
Lilly gegen Julija – catfight im Olympischen Becken @heuteplus @ZDFheute
— Elmar Theveßen (@ethevessen) August 9, 2016
Mein Herz schlägt für den Sport. Ich schaue und fiebere mit den Menschen, unabhängig ihres Geschlechts. Dieses Selbstverständnis, die die Dominanz von Männern und die Herabsetzung von Frauen impliziert – ob auf Funktionärs-, Vereins-, Werbe- oder Medienebene muss aber ein Ende haben. Von den Sportredaktionen wünsche ich mir mutiger zu sein: Nur Mut und Risikobereitschaft schafft schließlich Neues, ob in der Themensetzung, der Personalpolitik oder beim Sport selbst. Beispiel Fabian Hambüchen. Mit den riskantesten Übungen seiner Karriere hat er Gold geholt und uns eine schlaflose Nacht auf der Couch beschert. Olympiasieg.
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