Der straighte Feminismus mit Maren Heltsche

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Written by Felicia Mutterer

12. März 2018

Eine Frau, die Apple, Facebook oder Google erfindet. Das wäre der Traum von Maren Heltsche. Die Berlinerin engagiert sich bei den Digital Media Women und bei der Plattform Speakerinnen.org für mehr Female Empowerment in den Bereichen Netz, Technik und Medien. Denn im Moment gibt es ihr noch zu viele Männer da und zu wenige Frauen. Das belegen auch die Zahlen. Laut den Zahlen der Online-Plattform Stack Overflow beträgt der Anteil von Frauen in digitalen Berufen nur 21,5 Prozent. Bei den Programmierern sind es sogar nur zehn Prozent. Wenn die Branche weiblicher werden will, muss sich etwas ändern.

Deine Jobs, die du so machst, legen es ja nahe: Dir liegen Frauen besonders am Herzen. Warum?

Das hat natürlich unterschiedliche Gründe, aber die Jobs, die du ansprichst, sind eigentlich meine nebenberuflichen Engagements. Ich arbeite ehrenamtlich für die Digital Media Women (DMW), die ich hier in Berlin mit aufgebaut habe, und für die Plattform speakerinnen.org. Bei beiden Plattformen geht es darum, Frauen in professionellen Umgebungen und in der Öffentlichkeit sichtbarer zu machen.

Wieso ist das wichtig?

Ich habe die Erfahrung gemacht, besonders im beruflichen Kontext, dass es viele kluge Frauen gibt, die einen tollen Job machen. Wenn es aber darum geht, in Führungspositionen aufzusteigen oder auf Bühnen präsent zu sein, sind diese Frauen auf einmal nicht mehr so stark präsent, sondern da sitzen dann meistens Männer. Diesen Missstand zu verbessern, das ist eigentlich der Grund meines Engagements.

Was verbindest du denn generell mit Männern und was mit Frauen?

Es gibt diese typischen Zuschreibungen von Männern und Frauen in Führungspositionen. Demnach neigen Männer dazu, schneller zu entscheiden – Frauen wird nachgesagt, teamorientierter zu arbeiten und empathischer zu sein. Diese Erfahrung habe ich durchaus auch schon gemacht. Bei den Digital Media Women haben wir viele Netzwerktreffen, schließlich ist berufliches Netzwerken total wichtig. Allerdings haben viele Frauen keine Lust, auf die Art und Weise wie Männer an ihrem Netzwerk zu arbeiten. Das passiert bei den Männern nämlich oft “tschakka tschakka” und ist macht- und positionsgetrieben. Netzwerken unter Frauen gestaltet sich oft viel angenehmer, viel empathischer und ist mehr auf Zuhören bedacht, also nicht nur sendeorientiert.

Haben diese Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der Arbeitswelt mit der Erziehung zu tun?

Ich glaube schon, dass es sehr viel mit der Erziehung zu tun hat –  ich weiß aber auch, dass es eine heikle Diskussion ist, ob und welche Unterschiede biologischer Art zwischen Männern und Frauen existieren, darauf möchte ich auch gar nicht weiter eingehen. Dazu gibt es sehr unterschiedliche Ansichten. Häufig wird Frauen eine viel stärkere Intuition, Männern ein fokussierterer Blick oder stärkere Machtbestrebungen nachgesagt.  Sagt dir Amy Cuddy was? Sie hat einen Ted Talk gehalten, in dem es um Körpersprache, Hormone und Machtpositionen geht und wie man Entscheidungen trifft. Sie fand heraus, dass Alphamännchen unter Primaten einen hohen Testosteron-Spiegel (Dominanzhormon) und einen niedrigen Cortisol-Spiegel haben (Stresshormon). Das Gleiche trifft für erfolgreiche Führungspersonen in Machtpositionen zu. Außerdem beschäftigt sie sich mit Körperhaltungen und nonverbaler Kommunikation und fand in Experimenten heraus, dass bestimmte Körperhaltungen den Hormonspiegel beeinflussen können. Machtposen, in denen man viel Raum einnimmt, z. B. die Beine auf den Tisch legt oder breitbeinig auf dem Stuhl sitzt, steigern das Testosteron- und senken das Cortisol-Level. Genau das Gegenteil bewirken Posen, in denen man sich klein macht, die Beine verschränkt oder mit gebeugtem Rücken auf sein Smartphone schaut. Was fällt dabei auf? Wer wann welche Positionen im Alltag einnimmt, ist sehr stark geschlechtsabhängig.   Und deswegen empfiehlt Cuddy, vor dem eigenen Vortrag oder vor einem  Bewerbungsgespräch für zwei Minuten solche Machtposen einzunehmen. Dadurch wird sozusagen der Hormonhaushalt angekurbelt.Das ist natürlich ein Zeichen dafür, dass Männer und Frauen biologisch anders ticken. Dennoch glaube ich, dass insbesondere die Erziehung eine große Rolle spielt.

Wo glaubst du, hakt es bei den Frauen, oder positiv gefragt: Wie fördert man sie richtig, und wie bringt man ihnen Selbstbewusstsein bei?

Ich glaube, viele Frauen müssen stärker motiviert werden, um selbstbewusster zu werden. Ich kenne einige Frauen, die in verschiedenen Bereichen Expertinnen sind, aber sie würden nie auf die Idee kommen, sich irgendwo auf eine Bühne zu stellen, von ihren Erfahrungen zu erzählen oder zu betonen, dass sie sich in einem Feld besonders gut auskennen und anderen etwas beibringen können. Einige trauen sich dadurch auch nicht zu, auf Konferenzen zu sprechen, weil sie daran zweifeln, die richtige Person dafür zu sein. Oft schicken sie dann ihren Chef vor. Es scheint also, als wären Frauen zögerlicher, wenn es darum geht, Expertise öffentlich kundzutun. Männer sind dazu schneller bereit, selbst wenn sie sich nicht hundert Prozent sicher sind, was sie da erzählen werden. Dennoch sagen sie erst mal zu und machen sich dann später Gedanken.

Also sind die Frauen selbst schuld?

Nein, es gibt vor allem auch strukturelle Gründe. Es ist ja auch so, dass Redner immer wieder durchgereicht werden. Das heißt, wenn du einmal gut auf einer Konferenz gesprochen hast, wirst du auch automatisch immer wieder angefragt. Somit hält sich dieses System selbst am Leben. Zusätzlich ist es auch so, dass nun mal viel mehr Männer in Führungspositionen sind und viele Konferenzen Wert darauf legen, vermeintlich hochrangige Sprecher zu haben.

Wie ist dieser Kreislauf zu durchbrechen, wo setzt du und eure Plattformen an?

Zum einen ermutigen wir Frauen, sich mehr in die Öffentlichkeit zu wagen, vielleicht auch gerne erst mal in kleinen Communitys, wie bei Meet-ups der Digital Media Women. Hier kann man sich gut daran gewöhnen, vor einer größeren Gruppe zu sprechen. Nicht jeder ist eine Rampensau, und für viele ist das auch keine angenehme Situation, aber wenn man etwas verändern will, muss man sich eben auch öffentlich sichtbar machen. Deswegen: Ermutigen! Und: Frauen sollten sich gewisser Strukturen und Prozesse bewusst sein. Das ist ein wichtiges Thema, über das wir sprechen müssen. Denn manchmal bezieht man die Dinge zu stark auf sich selbst und zweifelt dadurch am eigenen Können. Aber gesellschaftliche Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen sind ein strukturelles Problem. Mehr Frauen sollten sich das vergegenwärtigen und dagegen angehen.
Zum anderen sensibilisieren wir Event-Organisatorinnen und -Organisatoren, machen auch mal öffentlich Druck und sagen, dass etwas nicht stimmt, wenn in einer Branche, in der sehr viele Frauen tätig sind, nur circa 10 % von ihnen auch auf der Bühne stehen.

Allerdings gibt es auch sogenannte Männerdomänen. Zum Beispiel technische Berufe. Ist es denn so? Programmieren Männer besser als Frauen?

Nein, natürlich nicht. Aber es ist tatsächlich so, dass die Frauenquote im Bereich Programmieren sehr gering ist. Im Open-Source-Bereich, also dort, wo freie Software entwickelt wird, liegt der Männeranteil beispielsweise bei 95 – 99 %. Es ist wirklich schlimm, insbesondere wenn man sich überlegt, wie viel Raum Technik in unserem Alltag einnimmt und wie wenig gestaltend Frauen dabei sind. Außerdem ist es ja auch ein Arbeitsbereich mit guten Verdienstmöglichkeiten.  Aber es wird auch in diesem Bereich besser, und es gibt immer mehr Initiativen, die sich für mehr Diversity in der Technik einsetzen. Ich hab vor drei Jahren bei den Rails Girls angefangen, programmieren zu lernen. Das ist eine ganz tolle Community, die darauf zielt, Frauen das Programmieren beizubringen, auch Quereinsteigerinnen. Da gibt es ganz tolle Erfolgsgeschichten, wo Frauen auch innerhalb weniger Jahre tatsächlich zu Programmiererinnen im Hauptberuf wurden.

Statistik: Anteil der weiblichen Bewerber für IT-Positionen in den Top 1.000 Unternehmen, im Mittelstand und in IT-Unternehmen in Deutschland 2016 | Statista

Würdest du das jeder Frau empfehlen, was ist Female Empowerment Tipp?

Denjenigen, die Lust darauf haben, schon. Ich glaube, das Wichtigste beim Programmierenlernen ist, dass du es wirklich lernen willst.
Es gibt viele Leute, die zweifeln: “Ich war ja nie so gut in Mathe”, dabei glaube ich, dass das Wichtigste der Antrieb und das Interesse sind. Ganz lustig: Ich stricke sehr gerne und habe vor einigen Jahren mal eine Strick-Graffiti-Gruppe über Twitter ins Leben gerufen. Ich habe noch nie so viele weibliche Programmiererinnen kennengelernt wie in diesem Kontext. Ich hab also dort festgestellt, dass total viele Programmiererinnen gerne stricken oder DIY-Sachen machen, und inzwischen habe ich den Eindruck, dass das die gleiche Antriebsfeder ist. Programmiererinnen (und natürlich auch Programmierer) sind also gar nicht diese Nerds, die man sich immer so vorstellt, im Gegenteil: Das ist ein hochkreativer Prozess und auch eben eine produktive Arbeit, bei der du etwas Neues erschaffst. Das finde ich das Tolle daran. Du baust etwas, das Leute hinterher benutzen, genauso wie wenn du einen Schal strickst.

Wie kann man die Hemmungen von Frauen in sogenannten Männerdomänen reduzieren?

Ich glaube, an der Stelle würde ich nicht nur sagen “Verfolgt eure Leidenschaft” – denn das ist sie manchmal noch nicht –, ich würde sagen “Verfolgt eure Neugierde.” Man sollte versuchen, die Eintrittsschwelle für Frauen niedrig zu halten. Das funktioniert bei den Workshops von den Rails Girls gut. Da sitzt du einen Samstag und hast hinterher eine Anwendung, die im Internet steht, die verwendbar ist und, wichtig, die du selbst gebaut hast. Du hast also ein Erfolgserlebnis. Dennoch will ich keine Illusionen machen: Programmieren ist ein hochkomplexes Ding.

Hast du Vorbilder?

Das ist eine gute Frage. Ich habe eigentlich keine Vorbilder, aber ich habe gute Chefinnen und Chefs gehabt, die mir gezeigt haben, Konfliktsituationen zu lösen. Prinzipiell inspirieren mich immer Menschen, die offen für ihre Themen einstehen und dafür auch Gegenwind in Kauf nehmen.

Hast du eine Idee von dir, wie du zukünftig mal arbeiten möchtest und wo du hinstrebst?

Im Moment ist es so, dass ich einfach sehr viele unterschiedliche Dinge mache. Ich verdiene mein Geld als freie Datenanalystin und Programmiererin, zudem habe ich einige ehrenamtliche Projekte, die mich begeistern. Tatsächlich wünsche ich mir aber, dass sich das alles noch mal stärker fokussiert und ich vielleicht perspektivisch mit den Dingen, die mir thematisch auch am Herzen liegen, wie beispielsweise der Frauenförderung, auch Geld verdienen kann.

Infografik: Wie viel Frauen in Europa weniger verdienen | Statista

 

Infos zum Interview:

Speakerinnen.org ist Female Empowerment pur, eine Plattform, die weibliche Konferenzsprecherinnen listet. Das sind Frauen, die in unterschiedlichen Feldern Expertise haben und gerne darüber öffentlich sprechen. Öffentlich heißt: auf Konferenzen, in Workshops oder in Medien. Die Speakerinnenliste ist eine Datenbank, in die sich übrigens jede Frau selbst eintragen und ihr Profil einrichten kann. Speakerinnen.org ist die Idee vieler Frauen, technisch umgesetzt wurde sie als Lernprojekt der Rubymonstas, einer Lerngruppe der Rails Girls Berlin, die sich zur Aufgabe gemacht haben, Frauen im IT-Bereich zu fördern. Hintergrund für den Support der Speakerinnen.org ist die Dominanz von Männern auf Bühnen und auf Podien in den Medien. In Talkshows sitzen vor allem Männer, der Anteil von Frauen beläuft sich auf 29 %, das hat die Meinungsmaschine mitgezählt.

Die Digital Media Women (#DMW) sind ein in Hamburg gegründetes Branchennetzwerk mit Ablegern in Berlin, Köln, München und der Region Rhein-Main. Formal sind die DMW ein Verein und – wie es ihr Name schon sagt – sehr netzaffin: als Social-Media-Managerinnen, Web- und Grafikdesignerinnen, Online-Journalistinnen, Bloggerinnen, Programmiererinnen und und in vielen anderen Bereichen arbeiten sie im World Wide Web. Das ist ein Bereich, in dem nach wie vor Männer dominieren. Das wollen die DMW ändern. Mit ihren Aktivitäten wie Netzwerken in Sozialen Medien oder in echt wollen sie die Situation von Frauen in diesen Berufen und ihre Sichtbarkeit verbessern.

Interview: Jasmin Acar / Headerfoto: Rieke Anscheit

 

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